PROTESTE GEGEN INFEKTIONSSCHUTZGESETZ

Flyer von firm (2020)

Auf den Kundgebungen gegen die Infektionsschutzmaßnahmen gibt es damit keine kritische Auseinandersetzung, das gilt auch für Beteiligung der extremen Rechten. Seit Beginn der Proteste Ende April sind Akteur*innen der Münchner extremen Rechten präsent: Rechte Hooligans, christliche Fundamentalist*innen, Pegida-Anhänger*innen und Neonazis nahmen unter anderem an den Kundgebungen am 2. und 9. Mai teil. Ebenfalls vertreten war dort die AfD: Zahlreiche Abgeordnete, Funktionär*innen und Anhänger* innen der Partei traten, teilweise mit Parteilogo, auf. Von Veranstalter*innen und Teilnehmenden gab es keine Distanzierungen, ganz im Gegenteil: Man kooperiert sogar offen mit einer extrem rechten Partei. Am 9. Mai durfte auf dem Höhepunkt der Kundgebung auf dem Marienplatz der Münchner AfD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wiehle eine Rede halten. Wiehle zeichnet vor allem seine Stimmungsmache gegen Geflüchtete und Muslim*innen aus. Dieser einflussreiche Münchner AfD-Funktionär konnte sich auf dem Marienplatz als Fürsprecher der Proteste inszenieren.

Die Proteste gegen die Infektionsschutzmaßnahmen beachten die medizinischen Empfehlungen im Umgang mit dem tödlichen Virus nicht: Die Teilnehmenden halten oft keine Sicherheitsabstände ein und tragen selten Mund-Nasen-Masken. Die Veranstaltungen werden somit zu riesigen potentiellen Infektionsherden, die Menschenleben kosten können.

Die Grundrechte wurden im Rahmen der Infektionsschutzmaßnahmen mit demokratischer Kontrolle eingeschränkt, nicht abgeschafft und müssen daher auch nicht „wiedereingeführt“ werden. Die deutschen Medien unterliegen keiner Zensur, die Bundesrepublik ist keine Diktatur. Verschwörungsfantasien über böse Strippenzieher*innen im Hintergrund, die man bekämpfen muss, sind gefährlich und keine harmlosen Hirngespinste! Wer zusammen mit Rechtsextremen, Verschwörungsideolog*innen und Neonazis demonstriert, gibt ihnen Anschlussfähigkeit und Spielräume. Das gefährdet alle Menschen, die in deren Visier stehen und unser demokratisches weltoffenes Zusammenleben!

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in Deutschland werden gesellschaftlich breit diskutiert. Besonders der Umfang und die Angemessenheit von Einschränkungen der Versammlungs-, Religionsfreiheit und Freizügigkeit sowie der vorübergehenden Stilllegung von Handel und Wirtschaft stehen hierbei im Mittelpunkt. Kritik an den aktuellen Maßnahmen haben seit Ende April in München auch zahlreiche Kundgebungen geübt. Die Teilnehmenden beklagen die Einschränkungen durch die Infektionsschutzmaßnahmen und lehnen diese mit Verweis auf das Grundgesetz ab.

Auf den Versammlungen wird das Grundgesetz verteilt, in Sprechchören wird „Wird sind das Volk!“ „Widerstand“ und „Grundgesetz“ skandiert. Einige Teilnehmenden haben verabredet, sich weiß zu kleiden, um optisch aufzufallen.

Die vermeintlich harmlose Inszenierung steht aber in einem scharfen Kontrast zu Inhalten und Akteur*innen, die auf den Kundgebungen sichtbar werden. In einer pauschalen

Extrem rechte Botschaften und polemische Gesellschaftskritik Seite an Seite auf dem Marienplatz, 9. Mai 2020

oft polemischen Kritik werden Politik und Presse als „System“ bezeichnet. Obwohl sogar extrem rechte und verschwörungsideologische Positionen in Deutschland weiterhin verbreitet werden können, behaupten Teilnehmende der Kundgebungen, Meinungsfreiheit gebe es nicht mehr. So beklagen etwa Teilnehmende, dass die Presse staatlich kontrolliert werde und auch Plattformen im Internet zensiert würden. In verschwörungsideologischer Manier sprechen sie davon, dass man außerhalb der „Mainstreampresse“ oder „Lügenpresse“ an „die Wahrheit“ gelangen müsse, um „aufzuwachen“. Man behauptet, Grundrechte wären „abgeschafft“ worden und müssten „wiedereingeführt“ werden. Teilnehmende fantasieren eine „Gesundheitsdiktatur“ und angeblichen „Impfterrorismus“ herbei. Journalist*innen und Fotograf*innen werden bei den Kundgebungen immer wieder an der Arbeit gehindert und attackiert.

Stimmungsmache gegen Impfungen ist auf den Kundgebungen weit verbreitet

Plakate, Redebeiträge und Schilder zeichnen holzschnittartig das Bild dieser vermeintlichen „Diktatur“, die in der Bundesrepublik bestehe. Einige Protestierende gehen dabei sogar soweit, dass sie Verbindungen zum Nationalsozialismus ziehen und die Infektionsschutzmaßnahmen mit dem Holocaust gleichsetzen. So trug ein Teilnehmer auf einer Versammlung in München am 9. Mai 2020 einen Judenstern mit der Aufschrift „Cov-2“, eine Frau hielt ein Schild mit einem Verweis auf den NS-Massenmörder Dr. Mengele hoch – eine Relativierung des deutschen Genozids und eine Verhöhnung seiner Opfer.

Die einseitige Zuspitzung wird immer wieder mit Erzählungen betrieben, in deren Zentrum angebliche Verschwörungen stehen. Aussagen wie „Wir kriegen ja gar nicht mit, was eigentlich abgeht“ oder „Ich weiß ja nicht, was hinter den Kulissen passiert“ sind zu hören und tun so, als ob es im Hintergrund geheime Machthaber*innen und Verschwörer*innen gäbe. Somit ist es nicht verwunderlich, dass sich verschwörungsideologische Positionen und Akteur*innen auf den Kundgebungen zeigen. Darunter ist etwa der bekannte Szene-Autor Gerhard Wisnewski, der in seinen Veröffentlichungen eine Vielzahl von Verschwörungserzählungen unter anderem zum 11. September, dem Klimawandel und angeblichen Wettermanipulationen durch Regierungen verbreitet. Wisnewski publiziert im extrem rechten Kopp-Verlag und tritt auf Veranstaltungen des einschlägigen „Compact- Magazins“ auf. Den Schutz gegen das Coronavirus bezeichnet Wisnewski als ein „soziales Lernprogramm“, das Solidarität zwischen Menschen abtrainieren solle. Teilnehmende der Kundgebungen in München beziehen sich auf bekannte rechte Internetplattformen, welche die Proteste mit eigenen Beiträgen anheizen. Bei einer Kundgebung am Stachus am 25. April warben etwa Teilnehmende für das verschwörungsideologische Portal „Kenfm“, rechte Medienaktivist*innen aus dem Umfeld der AfD sind auf vielen Veranstaltungen unterwegs und unterstützen die Stimmungsmache mit eigenen Videos.

Verschwörungsideolog*innen nutzen die Kundgebungen als Bühne für Positionen, die sie schon lange vor der Corona-Pandemie als angebliche „Wahrheiten“ verbreiteten. Sie schüren Ängste vor Impfungen und verbreiten Unwahrheiten über Impfrisiken. Dass Impfungen ein gut erforschter und effektiver Schutz gegen Infektionskrankheiten sind, ignorieren sie dabei.

Extrem rechte Akteur*innen mit verschwörungsideologischen Codes auf einer der Kundgebungen gegen die Infektionsschutzmaßnahmen

Bei den Versammlungen weit verbreitete Verschwörungsgeschichten behaupten, dass neben Pharmaherstellern und der Weltgesundheitsorganisation vor allem der amerikanische Investor Bill Gates Teil einer erfundenen „Impfverschwörung“ ist. Mit Slogans wie „Gib Gates keine Chance“ rufen sie auch auf den Kundgebungen in München entgegen allen Fakten Gates als bösen Strippenzieher im Hintergrund der Corona-Schutzmaßnahmen aus, der Staat und Behörden kontrolliere. Im Auftrag von Gates würden diese totalitär „durch die Hintertür“ eine Impfpflicht einführen wollen.

Eine weitere unwahre Erzählung, die auf den Kundgebungen sichtbar wird, rankt sich um die Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G. Auf der Kundgebung gegen die Corona-Schutzmaßnahmen am 2. Mai auf dem Max-Joseph-Platz trat zum Beispiel eine Teilnehmende mit einem großen „Stopp 5G“-Schild auf. Der neuen Technik werden allerhand schlimme Folgen angedichtet – freilich ohne dass es hierfür irgendwelche Beweise gäbe. Einige Aktivist*innen behaupten sogar, dass die Funktechnik den Virus verursacht habe. Und es bleibt nicht bei bloßen Behauptungen: In den vergangenen Monaten wurden unter anderem in Großbritannien und Deutschland Mobilfunkmasten zum Ziel von Anschlägen von Anti-5G-Aktivist*innen.

Bei den Protesten werden ebenfalls Verschwörungsideologien zu angeblichen Geheimbünden verbreitet, die als „tiefer Staat“ ganze politische Systeme unterwandert haben sollen. Unter dem Label „Q-Anonymous“ behaupten deren Anhänger*innen auch in München, Weisungen eines Insiders zu empfangen, der abstruse erfundene Vorwürfe verbreitet, denen zufolge die Verschwörer*innen unter anderem vermeintliche riesige geheime Kindermissbrauchsringe betreiben. Die „Q“-Verschwörungserzählungen gehören international, besonders in den Vereinigten Staaten, zu den populärsten innerhalb der extremen Rechten – ihre Anhänger*innen haben dort in der Vergangenheit auch bewaffnete Angriffe verübt.

 

Den Flyer zu den Protesten gegen das Infektionsschutzgesetz gibt es hier als PDF zum Download.

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