Rechte und verschwörungsideologische Mobilisierungen in München – Potential für eine Protestwelle im Winter

Artikel von firm (2022)

Befürchtete soziale Verwerfungen durch eine historisch hohe Inflationsrate, eine prognostizierte Rezession sowie die gestiegenen Energiepreise in Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind im Herbst 2022 Anknüpfungspunkte für extrem rechte Mobilisierungen in mehreren Bundesländern. Am 8. Oktober folgten rund zehntausend Menschen einem Aufruf der Alternative für Deutschland (AfD) zu einer bundesweiten Demonstration in Berlin. Gleichzeitig sind in vielen Teilen Deutschlands, so auch in München, Pandemieleugner*innen und Gegner*innen der Infektionsschutzmaßnahmen weiterhin aktiv und greifen ebenfalls Themen wie den Krieg in der Ukraine und drohende soziale Verwerfungen auf.

Wie ist die Lage in München? Wie sind extrem rechte und verschwörungsideologische Akteur*innen aufgestellt? Welche Schlüsse lassen sich aus dieser Gemengelage für die Situation in den kommenden Monaten ziehen? Die vorliegende Analyse der Fachinformationsstelle Rechtsextremismus München gibt Antworten auf diese Fragen.

 

Aktuelle extrem rechte Mobilisierungen in München

Ein Potential für extrem rechte Mobilisierungen auf der Straße besitzt in München zurzeit vor allem die AfD mit ihren Kreisverbänden. Die „Identitäre Bewegung“ bzw. ihre Regionalverbände konzentrieren sich auf öffentlichkeitswirksame Banneraktionen und versuchen über die Proteste neue Mitglieder zu rekrutieren. Neonazistische Akteure wie „Der Dritte Weg“ sind aktuell kaum sichtbar. Diesen Zusammenhängen fehlen in München im Gegensatz zur Situation in Teilen Ostdeutschlands unter anderem Diskurszugänge und umsetzbare realpolitische Forderungen, um Menschen außerhalb ihrer kommunikativen Räume wirksam ansprechen zu können.

Populistisches Potpourri der AfD

Im Rahmen einer bundesweiten Kampagne versucht die AfD, sich als Interessensvertretung sozial Benachteiligter und Stimme der Vernunft zum Ukrainekrieg auszugeben. Unter dem Motto „Unser Land zuerst“ platziert die Partei ein Potpourri an Forderungen wie die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Güter des täglichen Bedarfs und ein sofortiges Ende der Sanktionen gegen Russland. Sie schließt außerdem ältere Rufe etwa nach einem Ende von Klimaschutzmaßnahmen wie der CO²-Abgabe und Steuersenkungen an. Die breite Themenauswahl verbindet sie wiederum in einer einfachen populistischen Figur von einem vermeintlich homogenen „Volk“, das von realitätsfernen und ideologisch universalistisch verblendeten Politiker*innen gegen seine eigenen Interessen regiert werde.

Die Demonstration mit zehntausend Teilnehmenden am 8. Oktober in Berlin soll laut der Partei der Auftakt für weitere Mobilisierungen sein, in einigen östlichen Bundesländern organisiert sie bereits regelmäßige Proteste. Wenn es sich bei vielen Teilnehmenden der Demonstration in der Bundeshauptstadt auch um Mitglieder und Sympathisant*innen der Partei handelte, die mit Bussen unter anderem aus München nach Berlin gebracht wurden, konnte die AfD einen der größten Mobilisierungserfolge seit langer Zeit für sich verbuchen. Ein zweistelliges Ergebnis bei der Landtagswahl in Niedersachsen und steigende Umfragewerte im Bund aber auch in Bayern lassen die extrem rechte Partei auch auf elektoralen Rückenwind hoffen. In München ist sie vor allem mit Veranstaltungen und wenigen Informationsständen öffentlich präsent. Darüber hinaus ist sie im Internet sehr aktiv und verbreitet ihre Inhalte dort mit einer erheblichen Reichweite an tausende Abonnent*innen.

Inhaltlich warnt die AfD unter anderem vor „unbezahlbaren Strom- und Heizkosten“, „galoppierender Inflation“, einer „katastrophalen Rezession“, „zu erwartenden Stromausfällen“ sowie einer „explodierenden Zahl“ Bedürftiger. Vor diesem Hintergrund inszeniert sie sich als vermeintliche Fürsprecherin der Bedürftigen und fordert etwa im Stadtrat eine Ausweitung von Lebensmittelausgaben. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine zeigen sich bayerische AfD-Vertreter*innen vor allem solidarisch mit der russischen Regierung, verurteilen die deutsche Unterstützung für die Ukraine und machen Stimmung gegen Geflüchtete aus dem Kriegsgebiet.

Kundgebung am bundesweiten Aktionstag der AfD „Gesund ohne Zwang“ auf dem Münchner Königsplatz. Foto: Anne Wild

Aktuelle verschwörungsideologische Mobilisierungen in München

Seit April 2020 wendet sich eine mittlerweile gefestigte Szene von verschwörungsideologischen Aktivist*innen und Anhänger*innen gegen die Maßnahmen zum Schutz vor der Corona-Pandemie. Die zentrale Behauptung der Szene ist, dass es keine Corona-Pandemie gab und gibt. Diese werde nur von daran interessierten Kräften inszeniert, um Menschen ihre bürgerlichen Freiheiten zu nehmen, sie stärker, besonders mit digitalen Mitteln, zu kontrollieren und damit Geld zu verdienen. In diesen unwahren Erzählungen hat eine weltweite Verschwörung aus Wissenschaft, Politik und Medien die Pandemie nur für ihre Zwecke erfunden und belügt die Öffentlichkeit zudem mit anderen Inszenierungen, unter anderem hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine.

Gruppierungen und Vernetzungen

Vernetzt durch Treffen, Veranstaltungen und Versammlungen aber auch über Online-Plattformen wie Telegram hat sich die Münchner Szene in unterschiedlichen Gruppen wie „Freiheitsversammlung“, „Studenten stehen auf“, „Autokorso München“ und „München steht auf“ organisiert. Seit Ende 2021 arbeiten die tonangebenden Gruppen im Bündnis „Wir gemeinsam“ zusammen, auch wenn es vorher gelegentlich Bemühungen gab, sich, wenn nicht in der Praxis, dann aber zumindest auf dem Papier, von einzelnen Akteur*innen abzugrenzen. Die Aktivistin Ulrike P., die sich selbst „UlliOma“ nennt, organisiert zurzeit jeden Samstag an wechselnden Orten im Stadtgebiet Kundgebungen, „Leuchtturm ARD“ führt an Donnerstagen „Mahnwachen“ vor dem BR-Funkhaus und dem Pressehaus in der Bayerstraße durch, an Samstagen finden zudem Autokorsos mit Routen durch wechselnde Bezirke statt. Während die Teilnehmendenzahl bei diesen Versammlungen selten die 30 überschreitet, schließen sich mehr Menschen den wöchentlichen Demonstrationen der Gruppe „München steht auf“ an, aktuell sind es zwischen 450 und 800. Insgesamt nehmen die Aktivitäten der Szene auf der Straße derzeit zu, einige zwischenzeitlich inaktive Gruppen kündigen neue Aktivitäten an. Proteste gegen diese Aufläufe gibt es selten und wenn dann nur von einer überschaubaren Anzahl von Personen, die sie mit eigenen Schildern kritisch begleiten.

 

Bei Versammlungen der Pandemieleugner*innenszene greifen Teil-nehmende immer wieder Medienvertreter*innen an. Foto: Anne Wild

Gewalt als legitimes Mittel

Nach außen hin geben sich Pandemieleugner*innen gerne dialogbereit, friedlich und zugänglich. Diese vermeintlich harmlose Inszenierung steht aber in einem scharfen Kontrast zu Inhalten und Akteur*innen, die auf den Kundgebungen sichtbar werden. In einer pauschalen, oft polemischen Kritik werden Politik, Wissenschaft und Presse als „System“ bezeichnet und die Verantwortlichen für die Infektionsschutzmaßnahmen angegriffen. Akteur*innen der Szene bezeichnen die aktuelle Situation in Deutschland als „Gesundheitsdiktatur“ und einen „Psycho- und Informationskrieg“. Diese starke Überzeichnung geschieht bewusst: Sie rechtfertigt nämlich vermeintlich entsprechende heftige Gegenwehr von den Betroffenen von angeblicher „Diktatur“ und „Krieg“. Pandemieleugner*innen fordern eine „Aufarbeitung“ der Infektionsschutzmaßnahmen, sammeln Namen und Zitate von ihnen missliebigen Personen und träumen von einem „Tag der Abrechnung“, an dem die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.

Einige Akteur*innen wollen diesen Tag nicht abwarten und nehmen die Abrechnung selbst in die Hand – auch für Teile der Szene in München ist Gewalt ein legitimes Mittel, besonders gegen Medienvertreter*innen und politische Gegner*innen. Journalist*innen und Fotograf*innen werden bei den Kundgebungen und Demonstrationen in der Landeshauptstadt Woche für Woche bedrängt, beschimpft, bespuckt, angegangen, an der Arbeit gehindert und angegriffen. Die Anzahl der Übergriffe nimmt besonders dann zu, wenn nur wenige Polizist*innen die Versammlungen begleiten. Die Angreifer*innen fühlen sich dann noch sicherer und haben größere Spielräume für ihre Attacken. Am 27. April 2022 griff zum Beispiel eine Gruppe von Teilnehmenden einer Demonstration der Gruppe „München steht auf“ zwei Fotojournalist*innen an. Einem der Betroffenen wurde mit der Faust ins Gesicht geschlagen, die Täter*innen zogen sich anschließend wieder in den Demonstrationszug zurück. Dieser Angriff ist ein Beispiel aus einer langen Liste seit Beginn der Proteste im Jahr 2020.

Seit Anfang des Jahres 2022 greift die Münchner Pandemieleug-ner*innen-Szene zunehmend neue Themen auf. Foto: Lina Dahm

Erschließung neuer Themenfelder

Seit Jahresbeginn 2022 bezieht die Münchner Pandemieleugner*innenszene zunehmend Themen abseits der Infektionsschutzmaßnahmen in ihre Agitation ein. Waren schon seit Beginn der Proteste immer wieder andere Bestandteile der überwölbenden Verschwörungserzählungen von sinistren Eliten wie 5G-Strahlen, Chemtrails und digitale Überwachung auch außerhalb der Chatkanäle sichtbar, fokussieren sich die Aktivist*innen jetzt zusätzlich auf drei Themen: Die angeblich kontrollierten Medien, den Krieg in der Ukraine und die drohenden sozialen Verwerfungen durch Kaufkraftverlust und Wirtschaftskrise.

Das Thema „Journalismus“ greift besonders die Gruppe „Leuchtturm ARD“ auf, die in München und anderen Städten Kundgebungen vor Medienhäusern organisiert. In der Logik der Szene haben „die Medien“ es überhaupt erst möglich gemacht, dass der Bevölkerung eine Pandemie vorgegaukelt wurde. Ebenso macht man sie jetzt für den Krieg in der Ukraine mitverantwortlich und möchte, dass die eigenen verschwörungsideologischen Positionen medial abgebildet werden – ohne kritische Einordnung oder Hinterfragung. Der Gründer von „Leuchtturm ARD“ erklärt in einem Interview im Oktober 2022: „Wir befinden uns in einem international gesteuerten Informationskrieg“. Aus den Forderungen der Gruppe nach einer „multipolaren, ausgewogenen und staatsfernen“ Berichterstattung, lassen sich ihre Hauptvorwürfe an die deutsche Medienlandschaft ablesen. Die Agitation mit derartigen Vorwürfen gegen die Medien allgemein und die Öffentlich-Rechtlichen im Besonderen hat vor allem in der extremen Rechten eine lange Tradition. Die AfD Bayern fährt seit Jahren einen ähnlichen Kurs gegen vermeintliche staatliche „Gehirnwäsche“ in den öffentlich-rechtlichen Medien und die Rundfunkbeiträge. „Leuchtturm ARD“ fordert seine Anhänger*innen dazu auf, diese nicht mehr zu zahlen und die Zahlungsaufforderungen bis zum Festsetzungsbescheid zu ignorieren.

Der Krieg in der Ukraine wird von der Pandemieleugner*innenszene vor allem als Ergebnis einer vermeintlichen Einkreisung Russlands durch die NATO dargestellt. In einschlägigen Telegramgruppen wird russische Kriegspropaganda verbreitet und EU, USA und NATO eine gezielte Eskalation des Krieges vorgeworfen. Auf den Demonstrationen von „München steht auf“ fordern Redner*innen die Einstellung der Unterstützung für die Ukraine mit Waffenlieferungen und ein Ende aller Sanktionen gegen Russland. Als diese noch intakt war, riefen sie nach der Öffnung der Pipeline Nordstream 2 für russische Gaslieferungen, nun behaupten sie, dass deren bisher ungeklärte Sprengung mit eindeutiger Sicherheit nicht auf die russische Seite zurückgehe. In der Ukraine stehe die Bundesregierung für „angloamerikanische Interessen“ ein und mache eine Politik für die Waffenindustrie. Während die ukrainische Armee mit internationaler Unterstützung das Land gegen den völkerrechtswidrigen Angriff der russischen Streitkräfte verteidigt, die Zivilist*innen töten und Kriegsverbrechen begehen, rufen die Teilnehmenden auf den Demonstrationen von „München steht auf“: „Frieden schaffen, ohne Waffen“.

Die Münchner Pandemieleugner*innenszene hat erkannt, dass mögliche soziale Verwerfungen im Winter ihr mehr Zulauf verschafften könnten, wenn es ihr gelingt, sich als Vertreterin sozial Benachteiligter zu inszenieren. Ihre Redner*innen warnen daher vor einer angeblich drohenden sozialen Krise und verkünden, es solle sich ihren Protesten anschließen, wer im Winter noch warm duschen möchte. Umsetzbare sozialpolitische Lösungsvorschläge machen sie keine, reicht es aus ihrer verschwörungsideologisch grundierten Sicht doch anscheinend aus, den russischen Interessen zu entsprechen, die Sanktionen zu beenden und russisches Erdgas einzukaufen. Dann würden sich nach ihrer Lesart auch alle anderen sozialen Probleme von selbst erledigen. Eine durchsichtige populistische Inszenierung auf der Grundlage von Verschwörungserzählungen als Vertreter*innen der Bevölkerung gegen eine fehlgeleitete Bundesregierung oder „die Oligarchie“, die nur ihre eigenen Interessen vertrete.

Nach nunmehr zweieinhalb Jahren mit Protesten gegen die Infektionsschutzmaßnahmen, hat die Pandemieleugner*innenszene die Einstellungen ihrer Anhänger*innen und ihre Netzwerke gefestigt sowie ihre Mobilisierungsfähigkeit verstetigt. Diese steht nicht (ausschließlich) in einem direkten kausalen Zusammenhang mit dem Umfang der Infektionsschutzmaßnahmen. Sank 2021 in den Sommermonaten die Teilnehmendenzahl der wöchentlichen Demonstrationen auf rund 50, unterschritten sie 2022 auch im August nicht die Marke von 400. Im Herbst 2022 ziehen die wöchentlichen Demonstrationen gezielt durch Viertel in denen viele sozialbe-nachteiligte Münchner*innen wohnen, um diese für die Proteste zu gewinnen.

 

Die Zusammenarbeit zwischen extremer Rechter und der Pandemieleugner*innenszene

Seit dem Beginn ihrer Proteste kooperiert die Pandemieleugner*innenszene mit der extremen Rechten. Allen Distanzierungsbeteuerungen zum Trotz, sind extrem rechte Aktivist*innen, Burschenschafter, Neonazis und AfD-Vertreter*innen Teil der Mobilisierungen. Kritik an der offenen Kooperation mit der extremen Rechten begegnet die Pandemieleugner*innenszene mit „Erklärungen“ wie derjenigen, dass angesichts existentieller Fragen von Krieg oder Frieden und Wohlstand oder Armut, solche Erwägungen keine Rolle spielen sollten.

Geteilte Feindbilder

Die AfD geriert sich seit dem Sommer 2020 als parteiförmiger Arm der Proteste auf der Straße und bringt die Verschwörungserzählungen und Forderungen der Szene in die Parlamente. Die Münchner AfD ist auf den Demonstrationen von „München steht auf“ präsent, ihre Vertreter*innen positionieren sich entsprechend einschlägig. Sie wirbt mit eigenen Materialien gegen Impfungen und Masken sowie politischen Initiativen, etwa gegen Bußgelder für versammlungsrechtliche Verstöße bei illegalen Demonstrationen für die Abschaffung der Infektionsschutzmaßnahmen um die Gunst der Pandemieleugner*innen. Im März 2022 organisierte sie im Rahmen eines „bundesweiten Aktionstages“ eine eigene Kundgebung gegen die Maßnahmen auf dem Königsplatz.

Die Materialtische der Pandemieleugner*innengruppen bieten wiederum nicht nur Flugblätter gegen Impfungen, Masken und Coronatests sowie das Zentralorgan der Szene „Demokratischer Widerstand“ feil, sondern immer wieder auch rechte und extrem rechte Publikationen wie das Compact-Magazin, Material des Senders Auf1 und den Katalog des Kopp-Verlages. Auf den Kundgebungen von Ulrike P. werden rechte Verschwörungserzählungen unter anderem der Reichsbürger*innenszene verbreitet.

Der Aktivist der Reichsbürger*innenszene Frank R. spricht im Sommer 2022 auf einer Kundgebung von Ulrike P. in München. Foto: Lina Dahm

Gemeinsame Verschwörungserzählungen gegen die Bundesregierung und supranationale Organisationen wie UNO, WHO, WEF und NATO, sowie geteilte Feindbilder wie Bündnis 90/Die Grünen befeuern die gemeinsame Agitation zwischen extrem rechten Akteur*innen und der Pandemieleugner*innenszene. Deren Stimmungsmache hat sich in dieser Hinsicht seit Jahresbeginn weiter zugespitzt und zielt mittlerweile nicht mehr ausschließlich auf Personen, die sie für die Infektionsschutzmaßnahmen verantwortlich macht, sondern auf die komplette Bundesregierung. Diese gilt ihr als „inkompetente Bande“, die man (mindestens) aus dem Amt jagen müsse. Grünenpolitiker*innen werden in den Telegramgruppen der Szene als „Dreckssäcke“, „Abschaum“, „Parasiten“ und „Monster“ beschimpft. Den Bundestag betrachtet man als eine „Simulation von Demokratie“ in dessen „Abnickverein“ die Gesetze von Konzernen geschrieben würden. Eine „echte“ Demokratie ist in den Augen der Szene nur eine direkte Demokratie mit Volksabstimmungen. Diese Agitation ist seit Jahrzehnten aus der extremen Rechten bekannt. So spricht etwa der Münchner AfD-EU-Parlamentsabgeordnete Bernhard Zimniok in einem Video zu einer Veranstaltung seiner Fraktion mit Redner*innen der Pandemieleugner*innenszene im Nymphenburger Schloss am 8. Oktober 2022 von einer „Demokratie-Simulation“, die im EU-Parlament stattfinde. Die Hetze der AfD gegen angebliche „Globalisten“, gegen die man den Nationalstaat und „das Volk“ stellt, findet ihre Entsprechung in den Narrativen der Pandemieleugner*innen über die böse weltumspannende „Oligarchie“.

Die Pandemieleugner*innenszene versucht seit zwei Jahren, möglichst harmlos zu erscheinen und außerhalb ihrer verschwörungsideologischen Zusammenhänge Gehör zu finden. Diese Vorhaben sind in der jüngeren Vergangenheit in München in gewissem Umfang erfolgreich gewesen. Am 1. Oktober 2022 trat die Organisation „Freie Linke“, die regelmäßig an den Demonstrationen der Szene teilnimmt, als Mitorganisatorin einer „Friedens“-Demonstration auf dem Rotkreuzplatz auf. Hatten sich linke Zusammenhänge zuvor meist ausdrücklich von Pandemieleugner*innen distanziert, riefen sie hier gemeinsam mit einer einschlägigen Gruppe zu einer Versammlung auf. Vor Ort war der Umzug von Angehörigen der Szene geprägt, die sowohl gegen die Infektionsschutzmaßnahmen wie Impfungen als auch das Vorgehen der Bundesregierung in der Ukraine eintraten. Die genannten Zusammenhänge haben bis jetzt eher kleine Versammlungen organisiert – ihr Potential für Mobilisierungen im Winter sollte dennoch nicht vernachlässigt werden.

Auf den Materialtischen der Pandemieleug-ner*innengruppen liegen auch rechte und extrem rechte Publikationen wie das Com-pact-Magazin aus. Foto: Lina Dahm

Ausblick

Extreme Rechte und Pandemieleugner*innen planen, im kommenden Winter eine mögliche soziale Krise für sich auszunutzen und werben um Unzufriedene. Sie reden (teils seit Jahrzehnten) eine ausgedehnte gesellschaftliche Krise als Möglichkeit für einen Umsturz im eigenen Sinne herbei und hoffen auf größere Mobilisierungen in den nächsten Monaten. Entscheidend für die Stärke möglicher Mobilisierungen werden endogene und exogene Faktoren sein.

Aus sich heraus bestimmen den Einfluss der Szenen ihre aktuell bereits laufenden Mobilisierungen unter der Federführung der Pandemieleugner*innenszene, die seit mittlerweile zwei Jahren regelmäßig eine größere Anzahl von Teilnehmenden anziehen. Außerdem greifen sie mit ihrer zunehmend auf soziale Verwerfungen zugespitzten inhaltlichen Ausrichtung Themen mit großem Mobilisierungspotential auf. Sowohl die extreme Rechte als auch die Pandemieleugner*innenszene haben stabile Netzwerke aus Organisationen, Seiten und Personen ausgebildet, die sich vor allem online organisieren und mobilisierungsfähig sind. In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben sich zwischen den Szenen personelle Überschneidungen, Bekanntschaften und Kooperationen gebildet, die eine eingespielte Zusammenarbeit ermöglichen.

Äußere Faktoren, welche die Stärke der Mobilisierungen bestimmen werden, sind zum einen das Ausmaß möglicher sozialer Verwerfungen in den kommenden Monaten sowie die Wirksamkeit der Maßnahmen, die Bundes-, Landes-, und Kommunalpolitik dagegen ergreifen. Ohne eine Verschärfung dieser Einflussgröße erscheint es unwahrscheinlich, dass die bestehen-den Mobilisierungen in München sprunghaft anwachsen. Wenn sich soziale Missstände etwa durch Inflation, steigende Energiepreise und fortschreitenden Kaufkraftverlust weiter steigern, könnten Verarmung und Abstiegsängste hingegen viel mehr Teilnehmende in die Arme extrem rechter und verschwörungsideologischer Akteur*innen treiben. Falls sich die Folgen einer sozialen Krise mit Infektionsschutzmaßnahmen gegen eine neue Coronawelle verbinden, erhöht sich dieses Potential zusätzlich. Im Winter 2021 konnte die Münchner Pandemieleugner*innenszene den Unmut über die Infektionsschutzmaßnahmen für Proteste mit mehreren tausenden Teilnehmenden ausnutzen.

Der Umgang der Münchner Polizei mit den Protesten wird ebenfalls eine Rolle für mögliche kommende Mobilisierungen spielen, etwa in der Frage, ob man die Szene angemessen einschätzt, Versammlungen mit einer ausreichenden Zahl von Beamt*innen begleitet und Verstöße konsequent unterbindet. Andernfalls sehen sich Szene-Vertreter*innen zu Angriffen ermutigt und haben Spielräume, um Menschen, die in ihrem Fokus stehen zu attackieren.

Zentral für die Mobilisierungen in München in den kommenden Monaten werden darüber hin-aus zwei weitere Faktoren sein: Zum einen braucht die Stadtgesellschaft Räume und Gelegenheiten für Proteste gegen soziale Verwerfungen abseits extrem rechter und verschwörungsideologischer Akteur*innen. Münchner*innen müssen die Möglichkeit haben, ihren Unmut gegen soziale Missstände auf die Straße zu tragen, ohne einen Schulterschluss mit verschwörungsideologischen und antidemokratischen Akteur*innen eingehen zu müssen, die keine solidarischen Lösungen sondern nur Stimmungsmache zu bieten haben. Damit das gewährleistet ist, muss die Münchner Zivilgesellschaft Unterwanderungs-, Vereinnahmungs- und Kooptierungsversuche problematischer Akteur*innen erkennen und klar benennen, um mit einer deutlichen Abgrenzung zu diesen Akteur*innen Räume für demokratischen Protest zu öffnen. Es ist außerdem notwendig, dass die Münchner Zivilgesellschaft nicht länger den Pandemieleugner*innen die Straßen der Stadt überlässt, ohne dass deren Aktivitäten kritisch begleitet werden und ihrer verschwörungsideologischen Stimmungsmache widersprochen wird.

Das Potential für größere Mobilisierungen durch die extreme Rechte und die Pandemieleugner*innenszene in München in den kommenden Monaten ist beträchtlich. Stadtpolitik, Behörden und Zivilgesellschaft müssen diese Gefahr erkennen und für einen solidarischen Umgang mit möglichen sozialen Verwerfungen einstehen.