Auf Konfrontationskurs

Artikel von firm (2024)

Rund um den „Marsch fürs Leben“ zeigt sich die „Lebensschutz“-Bewegung angriffslustig

 

Im März 2024 entschied das französische Parlament, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung zu verankern. Kurz darauf, im April, erklärte eine Mehrheit der Abgeordneten im EU-Parlament ihre Absicht, Abtreibung zu einem Grundrecht zu erklären. In Deutschland wird derweil die Schaffung von Schutzzonen rund um Klinken und Beratungsstellen diskutiert und die Chancen für eine Liberalisierung der Abtreibungsgesetzgebung stehen so gut wie seit Jahrzehnten nicht. Angesichts dessen verspürt die mehrheitlich religiös motivierte „Lebensschutz“-Bewegung Handlungsdruck – was sich auch in der Mobilisierung zum Münchner „Marsch fürs Leben“ am 13. April 2024 niederschlug. Die Demonstration, die vom Verein „Stimme der Stillen“ organisiert wird, richtet sich vorrangig gegen reproduktive Rechte, es werden aber auch andere Themenbereiche wie bspw. Sterbehilfe behandelt. Der Marsch konnte sich in den vergangenen Jahren in der deutschsprachigen „Lebensschutz“-Szene etablieren, er ist – neben Berlin und Köln - eine von drei Großdemonstrationen der Bewegung in Deutschland.

 

Mehr Teilnehmende als in den Vorjahren

Statt der angestrebten 6.000 Teilnehmer*innen kamen in der Spitze zwar nur 3.000 Abtreibungsgegner*innen zur diesjährigen Demonstration nach München, eine Steigerung der Teilnehmendenzahlen im Vergleich zu den Vorjahren war das dennoch. Ausgehend vom Königsplatz zogen die Teilnehmer*innen teilweise von Gegenprotest begleitet durch die Maxvorstadt. Unter den Demonstrierenden waren erneut viele klassische „Lebensschützer*innen“, die teilweise in großen Gruppen aus der gesamten Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz nach München gereist waren. Einige von ihnen nutzten das Angebot der Anti-Choice-Vereine „ProLife Europe“ bzw. der „Jugend für das Leben“, die mit ihren Veranstaltungen in erster Linie junge Menschen ansprechen wollten. An junge Christ*innen zwischen sieben und 28 Jahren richtete sich auch das Programm der „Katholischen Jugendbewegung“, der Jugendorganisation der rechtsklerikalen Piusbruderschaft. An ihrem „Wochenende für das Leben“ beteiligten sich nach eigenen Angaben 80 Personen. Auch im Augustiner Keller fanden am Tag des Marsches Rahmenveranstaltungen statt. Während eine Feier mehrerer radikaler Abtreibungsgegner*innen am Abend von Gegenprotest unterbrochen wurde, gab es beim „Frühschoppen“ am Morgen keine Störungen. An der Veranstaltung der unionsnahen Initiative „Christdemokraten für das Leben“ mit den Referenten Christoph von Ritter und Birgit Kelle nahmen ca. 70 Personen teil.

Blasmusik und Materialschlacht

Auf dem Königsplatz erwarteten die Teilnehmer*innen Blasmusik, Luftballons, vorgefertigte Schilder mit Aufschriften wie „Väter werden durch Liebe zu Helden!“ und eine wahre Materialschlacht. Wie bereits in den Vorjahren präsentierten sich mehrere Initiativen und Vereine und verteilten an ihren Ständen Merchandise und Informationsmaterial. Neu waren die Beteiligung der extrem rechten, erzkatholischen Initiative „Tradition, Familie, Privateigentum“ sowie der AfD-Funktionäre Franz Schmid und Jan Schiffers. Mit der AfD hat die „Lebensschutz“-Bewegung eine Unterstützerin, die sich in den Parlamenten für die Belange der Abtreibungsgegner*innen einsetzt.

 

Drei Redner*innen, tiefe Einblicke

Als Redner*innen hatte der Verein „Stimme der Stillen“ die antifeministische Publizistin Birgit Kelle, die britische Anti-Abtreibungsaktivistin Isabel Vaughan-Spruce sowie den Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer eingeladen.

Kelle, die zuletzt ein Buch zum Thema Leihmutterschaft veröffentlichte, spricht mit ihren Positionen strömungsübergreifend Menschen mit antifeministischen, konservativen bis (extrem) rechten Ansichten an. Auf der Bühne des Münchner „Marsch fürs Leben“ erklärte Kelle, dass ihre Anliegen „weder links noch rechts“ seien und rief die Zuhörenden dazu auf, sich nicht für „politische Grabenkämpfe missbrauchen“ zu lassen, da diese eh nur geführt würden, um sie „alle zum Schweigen“ zu bringen. Damit bediente Kelle die gängige Erzählung, dass sie und ihre Zuhörenden Opfer linker Cancel Culture oder gar Zensur würden. Dabei handelt es sich um eine beliebte Strategie verschiedener antifeministischer Akteur*innen, die aktuell versuchen, ihre Forderungen in Form von Rechten zu formulieren. So kann Widerspruch zu ihren teils diskriminierenden und undemokratischen Positionen schnell zur Einschränkung von grundlegenden Menschen- und Grundrechten wie bspw. Religions-, Meinungs- oder Versammlungsfreiheit erklärt werden.

Anti-Choice-Aktivist*innen wie die zweite Rednerin Isabel Vaughan-Spruce, die von der internationalen „Lebensschutz“-Bewegung aktuell wie eine Märtyrerin bzw. Ikone behandelt wird, sind ein gutes Beispiel für diese Strategie. Spruce, die in Großbritannien Mahnwachen und Demonstrationen gegen das Recht auf Abtreibung organisiert, führt mit Hilfe der christlichen Lobbyorganisation „Alliance Defending Freedom“ Prozesse, um so ihren Protest gegen ein kürzlich eingeführtes Bannmeilen-Gesetz, auszudrücken. Mit dem Gesetz sollen ungeplant bzw. ungewollt Schwangere geschützt werden, die Praxen, Kliniken oder Beratungsstellen aufsuchen. Vaughan-Spruce hatte sich wiederholt in solche Schutzzonen begeben, um dort zu beten. Sie verstieß damit gegen das Gesetz und war dafür angezeigt und in Gewahrsam genommen worden. In ihrer Rede berief sich Vaughan-Spruce auf den im Konzentrationslager Auschwitz ermordeten Pater Maximilian Kolbe. Sie sprach davon, dass sich die „Geschichte wiederhole“, weil Menschen, die sich gegen Abtreibung positionieren, Repressalien fürchten müssten oder Wissenschaftler*innen „entmenschlichende Begriffe für ungeborene Kinder“ verwendeten. Indirekt relativierte sie so die NS-Verbrechen – eine Strategie, die vereinzelt auch deutsche Anti-Choice-Vereine anwenden.

Göttliche Gesetze über alles?

Die Distanzierung der Bischofskonferenz von sogenannten „Märschen für das Leben“ einerseits und die Teilnahme mehrerer Bischöfe inklusive des Auftritts von Bischof Voderholzer zeigten die aktuellen innerkirchlichen Auseinandersetzungen, wenn es um die Gegner*innenschaft zu Schwangerschaftsabbrüchen geht. In Interviews und auf der Bühne betonte Rudolf Voderholzer, dass man mit der Teilnahme von einem „staatsbürgerlichen Recht Gebrauch“ mache, wer sie daran hindere, sei „ein Feind der Demokratie“. Voderholzer berief sich auf die vom Grundgesetz geschützte Versammlungsfreiheit, ließ in seiner Rede jedoch keinen Zweifel daran, dass für ihn göttliche Gesetze wichtiger sind als das Grundgesetz: Seine Zuhörer*innen und er wüssten „als Christen (…), dass dieses Grundrecht doch tiefer gründet, nämlich in der Gottesebenbildlichkeit eines jeden Menschen“.

 

Keine Abgrenzung von (extrem) rechts

Von sich selbst zeichnet die Bewegung gerne das Bild der friedvollen Bewegung, die sich aus christlicher Nächstenliebe heraus gegen Schwangerschaftsabbrüche einsetzt. Dem entgegen stand ein, im Vergleich zu den Vorjahren, deutlich verschärfter Ton von Seiten der Veranstaltenden. In einem Gastkommentar auf der rechten Medienplattform „Corrigenda“ wünschte sich die Vorständin des Vereins ein „offensives Auftreten“ der eigenen Anhänger*innen und erteilte Appellen eine Absage, die dazu aufrufen, sich von der extremen Rechten abzugrenzen.

 

 

Bilder: 

Bild 1: Die Spitze des vierten "Marsch fürs Leben" in München. Foto: FIRM 

Bild 2: Die AfD-Funktionäre Jan Schiffers und Franz Schmid mit Schilder des Vereins "Stimme der Stillen". Foto: FIRM 

Bild 3: Die britische Anti-Abtreibungsaktivistin Isabel Vaughan-Spruce auf der Bühne am Königsplatz. Foto: FIRM 

Bild 4: Die Bischöfe Thomas Maria Renz, Rudolf Voderholzer und Florian Wörner beim "Marsch fürs Leben" in München. Foto: FIRM

Mehr Informationen finden Sie auch in unserer Broschüre "Die selbsternannte Lebensschutz-Bewegung - Antifeministische Agitation gegen körperliche Selbstbestimmung"