Erster „Marsch fürs Leben“ in München: Fachinformationsstelle Rechtsextremismus warnt vor weiterer antifeministischer Formierung

Radikale Abtreibungsgegner*innen rufen für Ende März zum „Marsch fürs Leben“ in München auf.

Für den 20. März 2021 planen radikale Abtreibungsgegner*innen den ersten „Marsch fürs Leben“ in München. Die geplante Demonstration eröffnet einen weiteren Schauplatz des Kampfes um den Zugriff auf und die Kontrolle über Frauen und Menschen mit Uterus in der bayerischen Landeshauptstadt. Mit dem Ziel Schwangerschaftsabbrüche zu verunmöglichen, ist die selbst ernannte „Lebensschutz“-Bewegung Teil einer, gerade in Krisenzeiten, stärker werdenden antifeministischen Formierung in Deutschland und weltweit.

Antifeministische Ressentiments und Einstellungen sind alt, es gibt sie, seit feministische Bewegungen sich aufmachten, für Gleichberechtigung zu kämpfen. Krisenzeiten, das zeigt der Blick in die Geschichte, aktivieren antifeministische Ideologien und so wird in diesen Tagen Antifeminismus expliziter und Gewalt durch Endzeitnarrative von rechts provoziert. Der Resonanzraum für diese Agitation ist groß, denn jeder vierte Mann und jede zehnte Frau in Deutschland weist ein geschlossen antifeministisches Weltbild auf (1).

Während die Ressentiments meist die gleichen bleiben, suchen sie sich doch immer andere Ausdrucksformen. Neu ist auch, dass von rechts auf aktive beziehungsweise agile Minderheiten wie religiöse Fundamentalist*innen, die Anti-LGBTIQ (2) - oder die „Lebensschutz“-Szene (3) gesetzt wird. So kann von einer stabilen Basis aus gearbeitet und gleichzeitig agitiert werden, um das Denk- und Sagbare weiter auszudehnen.

Bayern - ein Kristallisationspunkt radikaler Abtreibungsgegner*innen

Bayern ist ein Hotspot radikaler Abtreibungsgegner*innen, die breit aufgestellte „Lebensschutz“-Szene verfügt im Freistaat über mindestens 16 Vereine, die sich explizit dem sogenannten „Lebensschutz“ verschrieben haben. Hinzu kommen zahllose einflussreiche und teils finanzstarke Einzelpersonen, (extrem) rechte Parteien, katholische Fundamentalist*innen und Evangelikale, die ihrerseits „Pro Life“-Positionen in und außerhalb Bayerns vertreten und unterstützen.

Im Sommer 2020 tritt in München ein weiterer Verein mit dem Namen „Stimme der Stillen“ auf den Plan. Der Verein ist neu, seine Vereinsvorsitzenden jedoch bekannte Gesichter, welche die gängigen Narrative der „Lebensschutz“-Bewegung verbreiten. Sowohl Silja Fichtner, die erste Vorsitzende, als auch Richard Theisen, der zweite Vorsitzende und der Schatzmeister des Vereins Andreas Wagner sind in der Vergangenheit im Umfeld der Mahnwachen der Initiative „40 Tage für das Leben“ in Erscheinung getreten.

Bei diesen Mahnwachen stehen radikale Abtreibungsgegner*innen seit 2016 vor dem in Freiham gelegenen Medicare Zentrum, sowie der staatlich anerkannten Beratungsstelle von Pro Familia in der Maxvorstadt. Mit Schildern ausgestattet beten sie dort 40 Tage lang in Gruppen, von morgens bis abends, zweimal im Jahr. Weitere Ableger der Initiative sind zudem in Passau, Frankfurt a. M. und Pforzheim aktiv.

Silja Fichtner trat in der Vergangenheit als Pressesprecherin der Anti-Abtreibungsinitiative auf. In einem Interview mit dem rechtskatholischen Radiosender „Radio Horeb“ spricht sie im März 2019 vom „großen Unrecht der Abtreibung“. Die von ihr mitorganisierten Mahnwachen seien etwas „Positives, weil sie für das Leben“ seien.

Sie positioniert sich zudem in der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ gegen Verhütung, da diese einen „Keil zwischen Mann und Frau treibe“ und schreibt in der rechten Zeitung „Junge Freiheit“ Leserbriefe, in denen sie das rassistische, antifeministische und antisemitische Narrativ des „Großen Austauschs“ verbreitet und das Gebären von Kindern als „zuvorderst(e) und ureigene Aufgabe von Frauen“ bezeichnet.

Der zweite Vorsitzende, Richard Theisen stammt aus Nordrhein-Westfalen. Während seines Studiums war er Mitglied der katholischen Studentenverbindung „Wissenschaftlicher Katholischer Studentenverein Unitas Ruhrania Bochum Duisburg-Essen Dortmund“ und ist daher bestens vernetzt in rechtskatholischen Kreisen. Auch er stand in der Vergangenheit im Zuge der 40-Tage-Mahnwachen als Beter vor der Freihamer Klinik, um gegen Schwangerschaftsabbrüche zu demonstrieren.

Der Schatzmeister des Vereins „Stimme der Stillen“ Andreas Wagner ist CSU-Mitglied und sitzt im Karlsfelder Gemeinderat. Im Vorfeld des CDU-Parteitags im Januar 2021 bekennt er sich auf seinem Facebook-Kanal zu „Team Merz. In Posts erklärt sich sein Engagement für den Verein „Stimme der Stillen“, so ist Abtreibung für ihn „vorgeburtliche Kindstötung“, nur logisch, dass er bei mindestens einer Mahnwache von „40 Tage für das Leben München“ und dem „Marsch für das Leben“ in Berlin teilnahm.

Dieses Trio zeigt exemplarisch einen Teilbereich der Verstrickungen radikaler Abtreibungsgegner*innen: Rechtskatholische, christlich-fundamentalistische Gruppierungen wie „40 Tage für das Leben“, die auf ihrem Facebook-Kanal Abtreibungen mit dem Holocaust oder der Sklaverei gleichsetzen, antiquierte Männerclubs wie die katholische Studentenverbindung Unitas Ruhrania (4) oder eine CSU, die sich in der so genannten „Mitte der Gesellschaft“ positioniert. Sie alle sind Teil jener rechter Kreise, die verhindern, dass Schwangerschaftsabbruch legalisiert wird und dass Frauen sowie Menschen mit Uterus selbst über ihren Körper und ihr Leben entscheiden können.

Der Kampf um gebärfähige Körper

 

Hauptziel der selbst ernannten „Lebensschutz“-Bewegung ist es, Schwangerschaftsabbrüche unmöglich zu machen. Um das zu erreichen, setzen sie auf verschiedene Methoden. Sie öffnen Fake-Beratungsstellen, betreiben Lobby-Arbeit, starten Petitionen oder organisieren Demonstrationen. Allein in München finden jedes Jahr rund 20 Veranstaltungen radikaler Abtreibungsgegner*innen statt, die Mehrheit sind Gebetsmärsche oder mehrtägige Mahnwachen.

Das größte öffentliche Event der „Lebensschutz“-Bewegung in Deutschland ist der „Marsch für das Leben“ in Berlin, der seit 2016 stattfindet und jedes Mal mehrere tausend Teilnehmer*innen anzieht. Ähnliche Märsche gibt es in der Schweiz („Marsch fürs Läbe“), Wien („Marsch für die Familie“) sowie Warschau, Washington, Paris oder Lima.

Nun soll in München ein weiterer dieser Märsche hinzukommen. Unter dem Motto „Sei mit uns die Stimme der Stillen“ rufen die Organisator*innen für den 20. März 2021 zum ersten „Marsch fürs Leben“ in München auf. Ob es zu Beginn gleich die vielen tausend Teilnehmer*innen werden, ist derzeit noch offen.

Die Corona-Pandemie erschwerte lange die Planung, jedoch nimmt die Mobilisierung seit Anfang des Jahres Fahrt auf. Einige etablierte Vereine und bekannte Anti-Abtreibungsaktivist*innen bewerben den Marsch auf ihren Kanälen. Gleichzeitig verfügt der Verein über ein enormes Mobilisierungspotential.

Zur ersten, nach eigenen Angaben spontan organisierten Kundgebung des Vereins am „International Safe Abortion Day“ am 28. September 2020, kamen kurzfristig rund 300 Teilnehmer*innen. Es war die größte Veranstaltung selbst ernannter „Lebensschützer*innen“ in München seit Jahren. Die federführenden Akteur*innen verfügen zudem über ein gutes Netzwerk und pflegen Beziehungen zu etablierten Vereinen, Parteien und Medien, über die sie ihre Klientel erreichen können.

Eine Gefahr die in jedem Fall besteht, egal wie groß der Marsch in München ausfällt, ist, dass sich der Marsch als süddeutsche Variante des Berliner „Marsch für das Leben“ etabliert und über die Jahre wächst.

Die Versorgungslage für Schwangerschaftsabbrüche wird schlechter

 

Dabei ist der Druck auf Berater*innen, medizinisches Fachpersonal und Betroffene bereits heute hoch. Das zeigen unter anderem die Umfragen des Münchner Gesundheitsreferates, die im November 2020 in einen Stadtratsbeschluss zur Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen einflossen (5).

Aus diesen Umfragen geht hervor, dass die Ärzt*innen, welche in München Abbrüche durchführen, mehrheitlich über 60 Jahre alt sind und in absehbarer Zeit in Rente gehen werden. Gleichzeitig gestaltet sich die Suche nach Nachfolger*innen schwierig, da in München nur einige Kliniken in die Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen eingebunden sind. Ärzt*innen können die Durchführung von Abbrüchen aus Gewissensgründen jederzeit ablehnen, entsprechend gibt es in Kliniken keine Verpflichtung diesen durchzuführen. Da der Abbruch einer Schwangerschaft jedoch nicht zum Curriculum gehört, sind die Kliniken wichtige Ausbildungsorte für angehende Gynäkolog*innen. Ein Dilemma. Zudem erschweren die Aktivitäten radikaler Abtreibungsgegner*innen laut der Befragten die Suche nach Nachfolger*innen, welche die Leerstellen besetzen könnten. Die Sorge angezeigt oder öffentlich diffamiert zu werden schreckt ab. Ein weiterer begrenzender Faktor ist die Infrastruktur. In München verfügt die Mehrheit der Ärzt*innen über eigene Praxisräume, darüber hinaus nehmen einige öffentliche Kliniken Abbrüche vor, zwei davon jedoch nur bei medizinischer Indikation (6).

In vielen Regionen Bayerns ist die Situation bereits heute dramatisch. Betroffene müssen teils mehrere hundert Kilometer reisen, um einen Abbruch vornehmen lassen zu können. Aus der Oberpfalz und Niederbayern reisen viele ungewollt Schwangere für den Eingriff nach München oder andere Städte. Doch auch in der Landeshauptstadt ist die Versorgungslage mittel- bis langfristig nicht gesichert, wenn kein Gegenlenken stattfindet. Um das zu verhindern ist in erster Linie die Landesregierung gefragt, in deren Verantwortung die Sicherstellung der Versorgung liegt. Dort sitzt jedoch seit Jahrzehnten eine CSU am Hebel, die ihren reaktionären Kurs stoisch weiterfährt und „dem Schutz des ungeborenen Lebens“ mehr Rechte beimisst, als ungewollt schwangeren Personen.

Wie schnell der Verlust von Praxisräumen sich auf die Versorgungslage auswirken kann, zeigt die Befragung aus dem Frühjahr 2020. Eine*r der befragten Ärzt*innen die*der zwischen 300 und 599 Abbrüche durchführt, gibt in dieser an, dass sie*er keine Aussagen zum künftigen Beitrag zur Versorgung treffen kann, da ihr*ihm die Räumlichkeiten gekündigt wurden.

Die Kliniken, welche Räume für Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellen, haben laut Umfrage oft Probleme mit fundamentalistischen Gruppierungen. Im Zweifel entscheiden sich die Eigentümer*innen für Mieter*innen, die keine radikalen Abtreibungsgegner*innen auf den Plan rufen.

Klare Kante gegen Antifeminismus!

„Lebensschutz“ muss als das begriffen werden, was es ist: ein Kampf um den Zugriff auf und die Kontrolle über den reproduktionsfähigen Körper. Dieser wird seit jeher von der Rechten bzw. extrem Rechten geführt, denn für konservative, christlich-fundamentalistische, (extrem) rechte und völkische Akteur*innen ist der gebärfähige Körper ein zentrales Kampf- und Aktionsfeld.

Antifeminismus ist auf dem Vormarsch und wird expliziter. Die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie gibt an, dass Antifeminismus derzeit mit Antisemitismus und Verschwörungsmentalität im Zentrum ihrer Forschungen stehen. „Nicht unbedingt weil sie zugenommen haben, sondern weil sich durch sie eine neue antimoderne Bewegung formiert“ (7), die in ihrem Innersten antidemokratisch ist. Nicht nur haben 27,3 Prozent der Männer und zwölf Prozent der Frauen ein „manifest antifeministisches Weltbild, auch bettet sich dieses Einstellungsmuster fließend in ein rechtspopuläres, rechtsradikales und rechtsextremes Argumentationsgeflecht ein“ (8), so die Forscher*innen.

Es ist also dringend geboten, dieses Feld nicht antimodernen, antidemokratischen Akteur*innen zu überlassen, sondern klare Kante gegen antifeministische Positionen und Strukturen aller Art zu zeigen. Argentinien und Korea machen es vor, sie legalisieren Schwangerschaftsabbrüche, setzen ein Zeichen für körperliche Selbstbestimmung und senden damit gleichzeitig eine Absage an jene, die meinen ihre politische Agenda über die Körper anderer Menschen führen zu können.

 

Bilder: Lina Dahm

 

(1) Leipziger Autoritarismus-Studie 2020, S. 264, www.boell.de/de/leipziger-autoritarismus-studie


(2) LGBTIQ* ist das englische Akronym für Lesbisch, gay (schwul), bisexuell, trans*, inter* und queer. Das Sternchen soll signalisieren, dass es darüber hinaus eine Vielfalt verschiedener sexueller und geschlechtlicher Ausdrucksformen gibt.
(3) „Lebenschutz“ ist eine Eigenbezeichnung der Anti-Choice-Bewegung und wird daher in Anführungszeichen gesetzt.
(4) Die Unitas Ruhrania nimmt sowohl Männer als auch Frauen auf, jedoch getrennt voneinander.

(5) Alle Unterlagen rund um den Stadtratsbeschluss vom November 2020: www.muenchen-transparent.de/antraege/6175116


(6) Wenn das Leben bzw. die körperliche oder seelische Gesundheit der Frau durch die Schwangerschaft ernstlich gefährdet ist, kann ein Schwangerschaftsabbruch mit medizinischer Indikation durchgeführt werden. Mehr Informationen: www.profamilia.de//themen/schwangerschaftsabbruch


(7) Leipziger Autoritarismus-Studie 2020, S. 25, www.boell.de/de/leipziger-autoritarismus-studie


(8) Leipziger Autoritarismus-Studie 2020, S. 276, https://www.boell.de/de/leipziger-autoritarismus-studie

 

Artikel "Erster Marsch fürs Leben" in München als PDF Download