Am Sonntag, 1. September 2024, dem Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf Polen im Jahr 1939 fand auf dem Marienplatz eine große Kundgebung verschwörungsideologischer Akteure statt. Federführend in der Organisation war die Gruppe "München steht auf" aus der Münchner Pandemieleugner*innenszene. Sie gab sich dieses Mal nicht mit einer einfachen Kundgebung zufrieden, sondern rief gleich ein „Friedensfestival“ aus, das letztlich rund acht Stunden dauerte.
Auf der Ostseite des Marienplatzes bauten die Aktivist*innen eine ausladende Bühne mit zwei großen Bildschirmen auf, an zwei Seiten war die Kundgebungsfläche von Materialständen eingerahmt. Zu Beginn der Veranstaltung um 14 Uhr fanden sich rund 2.800 Teilnehmende ein, viele waren von außerhalb angereist, so etwa aus Memmingen, Hannover und Essen. Angehörige der Münchner Pandemieleugner*innenszene bildeten nur einen kleinen Teil der Teilnehmenden, der Mobilisierungserfolg beruhte vor allem auf Menschen, welche aus anderen Landesteilen anreisten. Dennoch bleibt festzuhalten, dass es „München steht auf“ nach längerer Zeit wieder gelungen ist, eine größere Kundgebung auszurichten. Die Beteiligung an ihren wöchentlichen Demonstrationen stagniert dagegen mittlerweile zwischen 100 und 200 Personen.
An den Materialständen wurden Flugblätter, Aufkleber und Zeitschriften verteilt. Darunter waren zahlreiche Materialien rechter Plattformen wie „AUF1“ und dem „Kopp“-Verlag. Die verschwörungsideologische Gruppe „Freie Linke", die christlich-fundamentalistische extrem rechte Sekte „Kla.tv“, die Szene-Zeitung „Klartext“ und einschlägige Versände betrieben eigene Stände. Auch die verschwörungsideologischen Parteien die "Basis", "Bündnis Sarah Wagenknecht" und „BüSo“ warben in der Menge um Zuspruch. „Klartext“ wurde auf der Versammlung unter anderem mit einem eigenen Lautsprecherwagen beworben und kostenlos verteilt. In der Zeitung werden verschwörungsideologische rechte Inhalte verbreitet, so wettert in einer der verteilten Ausgaben der Autor Martin Voigt gegen einen vermeintlichen „Trans-Kult“. Über die Lautsprecheranlage des „Klartext“-Wagens hetzte ein Redner gegen „Drecksäcke“ und eine „Brut“ in der Münchner Staatskanzlei und den Parlamenten in Berlin, Brüssel und Washington.
An einem Materialstand konnten Aufkleber mit Motiven wie „Wir sind das Volk“, „Nein zur digitalen Versklavung“ und „Wird der Bürger unbequem, ist er plötzlich rechtsextrem“ erstanden werden. Ein Aufkleber und ein angebotenes T-Shirt griffen mit „Döp Döp Döp“ die Umdichtung des Liedes „L’amour toujours“ mit der Neonazi-Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ auf. Ein weiterer Sticker zeigte direkt AfD-Werbung unter dem Motto „Unser Land zuerst“. Mit einem Flugblatt riefen Teilnehmende zur Beteiligung an einer Demonstration in Aschaffenburg am 14. September auf, die sich gegen „links-grüne Hetze, Regenbogenfaschismus und gefährliche Migrationspolitik“ richtet. Die Unterstützung vieler Teilnehmender für die extreme Rechte wurde deutlich, als auf der Bühne die AfD-Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen verkündet wurden und das Publikum in Jubel ausbrach.
Die Teilnehmenden des „Friedensfestivals“ wendeten sich vordergründig gegen Aufrüstung und die Unterstützung der Ukraine in der Abwehr des russischen Angriffes seit 2022. Die Feindbilder der Demonstrierenden sind vor allem die NATO und die USA. Ihre Herkunft aus der Pandemieleugner*innenszene merkt man ihnen an: Positionen gegen die Coronamaßnahmen standen neben den vermeintlichen Friedensbotschaften, zum Beispiel mit Forderungen nach einer Abrechnung mit den vermeintlich Verantwortlichen oder Absagen an Impfungen generell. "Es ging damals nie um Gesundheit, so wie es jetzt nicht um Frieden geht" – mit dieser Parole lässt sich das Weltbild der Teilnehmenden gut zusammenfassen. Sie sehen in beiden Fällen ganz andere Verschwörungen am Werk, die nur immer wechselnde Begründungen für ihre „bösen“ Aktivitäten vorschöben.
Der Teil der verschwörungsideologischen Szene, der sich am 1. September versammelte, grenzt sich nicht gegenüber der extremen Rechten ab. So fanden sich unter den Teilnehmenden vereinzelte ihrer Vertreter*innen wie beispielsweise Reichsbürger*innen. Rund zwei Dutzend Teilnehmende einer Reichsbürgerkundgebung am Vortag auf dem Königsplatz beteiligten sich an dem Aufmarsch. In der Corona-Pandemie hat die Pandemieleugner*innenszene mit der extremen Rechten zusammengearbeitet, nach ihrem Schwenk hin zum Thema „Frieden“ im Jahr 2022 setzt sie diese Kooperation nahtlos fort: Ihre Botschaften für Russland und gegen die NATO sind nicht zufällig vollständig auf der Linie der AfD.
Auf der Bühne traten in der Szene bekannte Künstler*innen wie die Sängerin „Morgaine“ und die Rapper „Kilez More“ und „Äon“ auf, Musikbeiträge wechselten sich ab mit Reden und Videobotschaften, die auf den Bildschirmen eingespielt wurden. Die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guèrot verpackte das Weltbild der Anwesenden in akademische Worte, wetterte gegen die USA und plädierte für eine russlandfreundliche Politik. Der russische Präsident Wladimir Putin habe dem Westen vor Jahren die Hand zum Frieden entgegengestreckt, aber der Westen habe das Angebot ausgeschlagen und Deutschland ergehe sich daher nun in Autoaggression.
In einer Videobotschaft sprach der Medienaktivist Patrick Baab davon, dass in der Ukraine „kein unprovozierter Angriffskrieg“ herrsche, die NATO treffe eine erhebliche Mitschuld für den Krieg. Unter großem Applaus rief er, sie verhalte sich wie „eine Bande transatlantischer Sartrappen“ der USA und klagte, dass nun wieder deutsche Panzer vor Kursk rollen würden. Dass er so die Abwehr des russischen Angriffskrieges mit dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion gleichsetzte, gefiel den Zuhörer*innen sichtlich. Ken Jebsen, Daniele Ganser, Wolfgang Wodarg, Florian Pfaff – eine Reihe umtriebiger Aktivisten und Bewegungsunternehmer meldete sich in der Folge bei ihrer Zielgruppe mit einem Videobeitrag zu Wort und wurden eifrig beklatscht. Scott Ritter, ein umstrittener amerikanischer Analyst, griff den nächsten von der Szene angepeilten Mobilisierungspunkt auf: die Stationierung von amerikanischen Atomwaffen in der Bundesrepublik. Ritter rief die Anwesenden dazu auf, diese abzuwehren mithilfe einer Mobilisierung wie derjenigen gegen den NATO-Doppelbeschluss in 1908er Jahren.
Die anschließende Demonstration durch die Münchner Innenstadt wurde angeführt von einer Gruppe Schweizerischer Aktivist*innen mit Kuhglocken. Gemeinsam mit den Trommlergruppen und drei Lautsprecherwägen sorgten sie für eine laute Geräuschkulisse. Melchior I., ein Redner von „München steht auf“, erklärte über einen Lautsprecherwagen, dass sich die Bundesrepublik viel mehr für den Frieden einsetzen müsse. An seiner Seite passte ein Mann mit Ordnerbinde auf, dass die Teilnehmenden nicht unter die Räder kamen. Er lief schon in den PEGIDA-Aufmärschen ab 2014 mit und macht aus seiner Gesinnung keinen Hehl: auf dem „Friedensfestival“ trug er ein T-Shirt der extrem rechten „Identitären Bewegung“, das ihn zum „Heimatschützer“ ernennt.
Im Aufzug waren Schilder zu sehen mit Aufschriften wie „Ich bin nicht im Krieg mit Russland“, „Politiker hört zu: Wir wollen euren Krieg nicht“, „America First & Wir bezahlen“, „Propaganda ist, wenn Waffen Menschenleben retten“, oder „Wollt ihr die totale Verteidigung der Ukraine?“. Andere griffen andere in rechten Zusammenhängen beliebte Erzählungen auf: „Coronawahn, Kriegswahn, Klimawahn - wann ist deine rote Linie überschritten?“, „Genug Gehirnwäsche: Zwangsgebühren für ARD und ZDF abschaffen“, „Unser Land versinkt in Korruption“ und „Heimatliebe“. Die Stimmung gegen Fotojournalist*innen, welche die Demonstration begleiten, war aggressiv. Ein Mann mit einem Megaphon beschimpfte zwei von ihnen als „Linksfaschisten“ und rief ihnen drohend zu: „Wenn die AfD drankommt, seid ihr weg. Ganz schnell weg! Ganz schnell, kannst du Fotos machen, wie du willst!“
Auf der Kleidung der Teilnehmenden waren Botschaften zu lesen wie „Freie Menschen für den Frieden“, „Wir müssen friedenstüchtig werden“, „MPox - Ungeimpft ist das neue geil“, „Ich denke selber also bin ich rechts“, „Meinungsfreiheit ist uns wichtig“ (kombiniert mit dem Logo des extrem rechten Compact-Magazins) oder „911 was an inside job“ (Das Motiv greift die Verschwörungserzählung auf, dass die islamistischen Anschläge am 11. September 2001 in Wahrheit von der US-Regierung verübt wurden). Die Demonstrant*innen riefen die Sprechchöre „Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung“, „Ohne Waffen Frieden schaffen“, „Diplomaten statt Granaten“ und „Raus, raus, raus aus der NATO“.
Nach der Rückkehr auf den Marienplatz trat der sächsische Kabarettist Uwe Steimle auf. Er sprach mit Blick auf die Bundesrepublik von „einem System, das untergeht“ und klagte, dass Gendern nur Ablenkung vom Klassenkampf sei. Er zitierte ein antifaschistisches Gedicht von Erich Kästner und zog Parallelen zur Gegenwart. Der Holocaust habe nicht mit Auschwitz begonnen, sondern mit der Sprache, so Steimle, um dann vor einer „grünen Sprachpolizei“ zu warnen, welche die Archive durchforste und das freie Wort fürchte. Ebenso wie Steimle freute sich der ehemaligen Linken-Abgeordnete Dieter Dehm mit dem Publikum über das Abschneiden der AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. Er arbeitet intensiv an einer „Querfront“ zwischen linken und extrem rechten Akteur*innen. Dehm bekundete etwa, dass er sich über die Gerichtsentscheidung zugunsten des kürzlich verbotenen extrem rechten Compact-Magazins freue und der linken Zeitung „Junge Welt“ ebenfalls juristischen Erfolg wünsche.
Der ehemalige Pfarrer und Moderator Jürgen Fliege klagte auf der Bühne darüber, dass die Mächtigen stets die Wurzeln von Problemen verschwiegen, so wie im Fall der Kriege in Gaza und Ukraine. Auch Menschen würden ihrer Wurzeln beraubt und seien somit „entwurzelt“. Er sprach von einer „merkwürdigen religiösen Sekte“, die seit Urzeiten „Kinder für den Frieden opfere“. Ihre Priester würden durch die Jahrhunderte hinweg Kinder „in den Feuerofen werfen“. Jetzt kämen sie in Flecktarn in Schulen und Kindergärten und wollten wieder die Kinder holen. Die Eltern sollten daraufhin „Nein“ sagen – mit diesem Wort habe man schon vor 75 Jahren als Pazifisten den zweiten Weltkrieg beendet (!).
Die schrillste Rede des Tages hielt zweifellos Colette Rink, Aktivistin und Stadträtin aus Aschersleben in Sachsen-Anhalt. Sie ereiferte sich fortwährend über die Bundesregierung und beleidigte ihre politischen Gegner*innen. Dafür erhielt sie viel Applaus von den Zuhörer*innen. Rink bezeichnete Innenministerin Nancy Faeser als geistige Zwillingsschwester von Stasi-Chef Erich Mielke und „küchenschabige Dinkel-Dörte“, die Regierung als „bekloppte Hampelbude“ und die Bundesrepublik als „Freiluftpsychiatrie“. „Kriegstreiber“ würden „unsere Heimat und den sozialen Frieden im Land bewusst zerstören“.
Rink bot ein Potpourri extrem rechter Narrative feil: Deutschland sei immer noch durch die Amerikaner besetzt, die Bundesregierung von ihnen abhängig. Die „asozialen Eliten“ „ekelhaften Unmenschen“, „widerliche charakterlose Kreaturen“ gehörten „in die Hölle“ und sollten „in den Schützengräben in ihrem eigenen Blut gurgeln“. Flüchtlingsströme weltweit würden gezielt gelenkt: „Wenn wir sehen wohin die Flüchtlinge gelenkt werden, wissen wir auch, gegen wen Krieg geführt wird“, so Colette Rink. Mittlerweile herrsche der Krieg auf deutschen Straßen, Menschen würden „abgeschlachtet“. Sie beschimpfte Außenministerin Annalena Baerbock als „Trampolin springendes Standgebläse“ und bedauerte: Im Tierreich führe das stärkste Tier die Herde an und „nicht die versehentlich großgezogene Nachgeburt“. Es sitze „ein Haufen intellektueller Notdurft“ in Berlin. Ein Rechtsruck sei nur vernünftig, ein Linksruck werde die Menschen alles kosten, einschließlich das Leben. In Reichsbürgermanier wünschte sich Rink, dass das Grundgesetz „hoffentlich sehr bald mal in eine Verfassung geändert wird“. Es gehe um „die Heimat der Vorfahren“. Rink setzte dazu: „Wir sind Deutsche, hier ist unser Land, Deutschsein ist kein Verbrechen!“ Nach fünfzehn Minuten ihrer heftigen Tirade nutzte Moderator Julius N. einen Zwischenruf aus dem Publikum und leitete über zur nächsten Rede.
Dies blieb allerdings nicht Rinks letzter Auftritt an diesem Tag: Zum Ende des Programms wurde sie erneut auf die Bühne geholt. Julius N. sagte zaghaft, man habe sich hinter der Bühne ausgesprochen und entschuldigte sich dafür, ihr das Mikrofon aus der Hand genommen und sie „zensiert“ zu haben. Rink selbst sprach von einem „Versehen“ der Veranstalter, wiederholte einige ihrer Positionen von „einem Volk, das seiner Identität beraubt“ werde und betonte die vermeintliche Notwendigkeit, derart heftige Töne anzuschlagen. Eine gegenseitige Abgrenzung sei nur eine Steilvorlage für den politischen Gegner. In die gleiche Kerbe schlug auch Benjamin T., ein führender Aktivist von „München steht auf“ in seinem Abschlussappell, Unterschiede in der Szene auszuhalten und dennoch zusammenzuarbeiten.
Der Krieg in Gaza war den ganzen Tag über immer wieder Thema, so lief etwa eine kleine Gruppe mit einer Palästina-Fahne in der Demonstration mit. Im letzten Teil des Programms wurde diese Bezugnahme stärker: Die Rapper „Bustek“ und „Lapaz“ führten ihr Lied „Free Palestine“ auf und die Sängerin Nina Maleika konzentrierte sich in ihrem Auftritt auf den Konflikt. Sie betrat die Bühne in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Muslim-Freundin“ und trug eine Brosche in Form einer Wassermelone, ein Symbol der Pro-Palästina-Proteste seit dem Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023. Maleika, die sich auf Social Media mit T-Shirts mit dem rotem Dreieck, einem Symbol der Hamas zur Markierung israelischer Ziele, zeigt, geriert sich vor allem seit dem 7. Oktober als umtriebige Anti-Israel-Aktivistin. In der Vergangenheit solidarisierte sie sich öffentlich mit islamistischen Gruppierungen wie „Muslim Interaktiv“, die in Hamburg auf Demonstrationen ein Kalifat forderten, oder dem Iran-nahen „Islamischen Zentrum Hamburg“, welches im Juli 2024 durch das Bundesinnenministerium verboten wurde.
Maleika erklärte, sie sei irritiert, dass in der Diskussion über diesen Terroranschlag angeblich die Vertreibung von Palästinenser*innen im Rahmen der „Nakba“ 1948 verdrängt werde. Sie sprach von 190.000 durch einen „von Deutschland finanzierten Genozid“ getöteten Palästinenser*innen – die eigentliche aktuell bekannte Zahl liegt bei rund 40.000. Die Lehre aus dem Holocaust, dessen Wiederholung unter der Losung „Nie wieder“ zu verhindern, klinge hohl, denn dieser Fall sei mit dem Krieg in Gaza wieder eingetreten. Damit zog Maleika eine direkte Verbindung zwischen dem israelischen Militäreinsatz und den Gräueln des deutschen Genozids. Bereits an anderer Stelle fiel Maleika in der Vergangenheit mit fragwürdigen Aussagen hinsichtlich des Holocausts auf: auf ihrem Instagram-Profil kritisierte sie im Duktus rechter „Schuldkult“-Erzählungen im Mai 2024: „Deutschland hat keine Identität. Unsere Identität ist der Holocaust. Daher klammern wir uns daran fest, wie ein Ertrinkender am Gummiboot.“
Die Sängerin erklärte daraufhin in ihrer Rede am Marienplatz, es werde jetzt ein neues Narrativ des gefährlichen Arabers bzw. Moslems etabliert. Das laufe immer nach dem gleichen Muster ab, erst sei es der Ungeimpfte, dann der Russe, jetzt der Islam gewesen, der zum Feindbild erklärt wurde. Wer hinter diesen angeblichen Machenschaften steckt, erklärte sie ihrem Publikum auf dem Marienplatz nicht. Maleika bezeichnete Israel als „Apartheidsregime“, ihre Ausführungen schloss sie mit dem Ausruf: „Israel, du kannst kein heiliges Land auf den Massengräbern von Kindern errichten!“ Der Vorwurf, Kinder zu ermorden, zu missbrauchen und/oder zu opfern ist seit Jahrhunderten ein zentraler Baustein antisemitischer (Verschwörungs-)Erzählungen. Anschließend sang Nina Maleika ein Lied über die zivilen Opfer der israelischen Militäroperationen im Gazastreifen, das sie mit dem Ausruf „Free Falestin!“ („Befreit Palästina!“) beendete.
Mittlerweile hatten rund zwei Drittel der ursprünglichen Teilnehmenden die Kundgebung verlassen, allerdings gesellten sich viele Passant*innen dazu und verfolgten das Musikprogramm. Die Band des Berliner Musikers Guido de Gyrich pries in ihrem langwierigen Auftritt den Widerstand der Pandemieleugner*innenszene gegen die Infektionsschutzmaßnahmen. De Gyrich selbst beschuldigte die Medien, Menschen erst zu Rassisten zu machen und nahm den britischen Sänger Roger Waters gegen Antisemitismusvorwürfe in Schutz. Zu dessen Ehren spielte seine Band „Another Brick in the Wall“ und beschloss den Abend mit „Give Peace a Chance“ von John Lennon, das die Organisator*innen auf der Bühne mitsangen.
Das selbsternannte „Friedensfestival“ auf dem Marienplatz hat gezeigt, dass die Mobilisierungsfähigkeit der Pandemieleugner*innenszene anhält, wenn auch in abgeschwächter Form. Ihre Welterklärungen sind durchsetzt von einer aggressiven Feindbildprojektion, Verschwörungsdenken und einem instrumentalisierten Pazifismus. Mit einfachen Schablonen, in denen die USA (mit Ausnahme von Ex-Präsident Donald Trump und seinen Anhänger*innen) böse und das Putin-Regime in Russland gut sind, versuchen sie den Blick auf die komplexen Zusammenhänge internationaler Politik zu verzerren, bis sie in den eigenen ideologischen Setzkasten passen. Ihre simplen Feindzuschreibungen scheinen zu verfangen und bilden den Kitt ihrer politischen Allianzen. Seite an Seite marschiert diese vermeintliche „Friedensbewegung“ dabei mit der extremen Rechten. Sie teilt deren migrationsfeindliche Stimmungsmache, ihre völkischen Erzählungen eines wiederherzustellenden, kulturell homogenen Deutschlands und vor allem ihre hitzigen Attacken auf gemeinsame Feindbilder: politische Gegner*innen, die demokratische Zivilgesellschaft, Medien, – kurz nicht-rechte, linke, grüne Menschen, die sie für alle Übel verantwortlich machen. So führen AfD und Gruppen wie „München steht auf“ gemeinsam ihren Kampf gegen „das System“ und schüren Stimmung gegen die Schuldigen in ihren Erzählungen, allerdings sind die Pandemieleugner*innen mit Friedenstauben, Friedensfahnen und Friedenszeichen ungleich besser getarnt. Hinter ihrem vermeintlichen Pazifismus steht jedoch eine verschwörungsideologische Gegenkultur zur demokratischen Gesellschaft und eine unkritische Nähe zu autoritären und diktatorischen Regimen. Auf der Straße besorgen sie nun das Mobilisierungsgeschäft für die extreme Rechte, die in Form der AfD auf ihrem Marsch durch die Institutionen in den demokratischen Parlamenten beträchtlich Boden gewinnt.
Fotos: Fachinformationsstelle Rechtsextremismus München