Antisemitismus in Studierendenverbindungen

Artikel von firm (2024)

Der antisemitische Angriff im Jahr 2020 auf einen 25-jährigen Studenten der Landsmannschaft Afrania bei der Burschenschaft Normannia in Heidelberg erregte bundesweit Aufmerksamkeit. In der Sache wurde gegen mehrere Personen ermittelt, im Dezember 2022 wurden drei Angeklagte schließlich zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Betroffene mit Gürteln verprügelt sowie als „Drecksjude“ und „Saujude“ beschimpft wurde. Allen Studierendenverbindungen pauschal Antisemitismus zu unterstellen, wäre falsch. Konstatieren kann man allerdings, dass – entgegen der eigenen Legendenerzählungen – der Antisemitismus bei fast allen Burschenschaften von Anfang an Teil des Verbindungslebens war. So bestimmte die 1815 gegründete Jenaer Urburschenschaft, dass „nur ein Deutscher und Christ” Mitglied werden durfte. Auf die Prinzipien der Urburschenschaft beziehen sich noch heute fast alle Burschenschaften.

Die erste Bücherverbrennung

Wie tief verankert judenfeindliche und antisemitische Ressentiments in Burschenschaften sind, zeigte sich schon beim ersten Wartburgfest im Jahr 1817. Bei der von der Urburschenschaft organisierten politischen Kundgebung anlässlich der Jahrestage des Thesenanschlags von Martin Luther und der Völkerschlacht bei Leipzig sollte der Sieg über die verhassten Franzosen gefeiert werden. Sie gipfelte in der ersten öffentlichen Bücherverbrennung in Deutschland. „Dabei [kam] die spezifische Verbindung von romantischem Freiheitsdrang, nationalem Einigungswunsch, antidemokratischem Gemeinschaftsdünkel und völkischem Reinheitswahn zum Ausdruck.” Heinrich Heine schrieb über die Zusammenkunft:

„Auf der Wartburg herrschte jener beschränkte Teutomanismus, der viel von Liebe und Glaube greinte, dessen Liebe aber nichts anderes war als Hass des Fremden […] und der in seiner Unwissenheit nichts Besseres zu erfinden wusste als Bücher zu verbrennen!”

Verbrannt wurden nicht nur Symbole der verhassten Diktatur, auch der fortschrittliche Code Civil, der bürgerliche Rechte sichern sollte, landete im Feuer. Die Teilnehmer verbrannten zudem Schriften des jüdischen Autors Saul Ascher. Dabei riefen sie „Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judenthum und wollen über unser Volksthum und Deutschthum schmähen und spotten!”

Geringschätzung und „Arierparagraf“

Vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise (1873–1896), auch Große Depression genannt, entstand 1881 zudem der Verein deutscher Studenten. Dabei handelte es sich zunächst um eine Art Sammelbewegung, ein politisches Bündnis von Korporierten und Nichtkorporierten, die in kürzester Zeit zur „Avantgarde des Antisemitismus” avancierte. Bis heute agieren sie als schwarze, nichtschlagende Studierendenverbindungen.

Die durch den Lebensbund verursachte Unfähigkeit, individuell Verantwortung für bspw. ausgrenzendes Verhalten zu übernehmen, ging einher mit der Hochschätzung der eigenen Nation, zum anderem mit antifranzösischen Ressentiments und der Geringschätzung der jüdischen Kommilitonen, der Sozialdemokratie und der Ende des 19. Jahrhundert erstarkten Arbeiterbewegung. Ziel der sich neu formierenden Bewegung war es, Jüdinnen und Juden aus dem öffentlichen Leben und jüdische Studenten aus den Universitäten zu verdrängen. Sie war damit „erfolgreich”. In der Folge wurden jüdische Mitglieder aus Verbindungen ausgeschlossen, zunächst mit Verweis auf das Glaubensbekenntnis, später nach Kriterien des rassistisch begründeten Antisemitismus. Jüdische Studenten gründeten in der Folge eigene Studierendenverbindungen, denen im weiteren Verlauf jedoch die Satisfaktionsfähigkeit abgesprochen wurde.

Auch ältere Verbindungen wie Corps und Landsmannschaften entwickelten im Zuge der eben schon angeführten Großen Depression antisemitische Positionen. Wie weite Teile der nichtjüdischen Gesellschaft machten Korporationen Jüdinnen und Juden für die tiefe ökonomische Krise verantwortlich. In der Folge schlossen sie jüdische Studenten aus bzw. nahmen keine neuen mehr auf. Der Coburger Landsmannschafter-Convent beschloss 1894, dass „Juden […] weder als Aktive noch als C.K. [Conkneipanten] admittiert werden, da der Cob. L.C. die Judenfrage nicht als religiöse oder politische Frage auffaßt, sondern als Rassenfrage”.

Die Turnerschaften, die damals noch im V.C. der Turnerschaften organisiert waren, verabschiedeten zwar keinen eigenen Beschluss, die Verbindungen nahmen aber spätestens seit 1896 keine Juden mehr auf. Im selben Jahr verabschiedete der Allgemeine Deputierten Convent (ADC) der Burschenschaften auf dem Eisenacher Burschentag eine Resolution, die die Aufnahme jüdischer Studenten praktisch unmöglich machte.

Bei den katholischen Studenten, die sich ab den 1840er Jahren organisierten, war die Ausgangslage eine andere. „Als dezidiert konfessionelle Organisationen stellte sich für sie die Frage der Aufnahme von Juden und Protestanten als Vollmitglieder nicht. Diskussionen über eine mögliche Zurückweisung von Studenten, die vom Judentum zum Katholizismus konvertiert waren, gab es nicht. (…) Mensur und Duell lehnten die katholischen Korporationen prinzipiell ab, so daß sich für sie die Frage der Satisfaktionsfähigkeit von jüdischen Kommilitonen und Korporationen nicht stellte.“ Eine Analyse verschiedener Verbandszeitschriften katholischer Verbindungen ergab, dass die große Mehrheit das Thema Antisemitismus (oder seine Ablehnung) nicht als „kulturellen Code” verwendete, um sich mit bestimmten politischen oder kulturellen Lagern zu identifizieren. Judenfeindliche Äußerungen gab es jedoch durchaus in den Verbänden und ihren Zeitschriften wie der „Academia“ des CV, in den „Akademischen Monatsblättern“ des KV und der Zeitschrift „Unitas“ des gleichnamigen Verbands. Allerdings wird – aus bereits erwähnten Gründen – die sogenannte Judenfrage nicht thematisiert, nach dem Ersten Weltkrieg stieß die Dolchstoßlegende nur im österreichischen CV auf Widerhall. Nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg war 1919 ein weiter Radikalisierungsschub zu beobachten, „die meisten Korporationsverbände beschlossen sogenannte ‚Arierparagraphen‘“– auch einige konfessionelle Verbindungen nahmen keine jüdischen Studenten mehr auf, wie bspw. der KV, der dies im Jahr 1933 beschloss. Beim CV gab es Bestrebungen, Juden auszuschließen, ein entsprechender Antrag wurde im Wintersemester 1920/21 jedoch abgelehnt. Die letzten Mitgliedsverbände des CV lösten sich spätestens 1936 auf.

Aufarbeitung

Einige Verbände, wie die Arbeitsgemeinschaft katholischer Studentenverbände (AGV), haben damit begonnen, ihre Rolle im Deutschen Reich und während des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Der AGV und auch der KV positionieren sich heute öffentlich explizit gegen Antisemitismus.

Davon kann bei den meisten Burschenschaften keine Rede sein. Bei der Normannia werden Waffenbrüder geprügelt und beleidigt, die Danubia lädt antisemitische, geschichtsrevisionistische Redner zu Vorträgen ein und einzelne ihrer Mitglieder beteiligte sich an Corona-Protesten, bei denen antisemitische Verschwörungserzählungen verbreitet wurden. Man kann davon ausgehen, dass viele antisemitische Vorfälle „unter dem Deckel gehalten werden“. So ist es recht außergewöhnlich, dass der Angriff auf den Landsmannschafter mit jüdischen Vorfahren bei der Burschenschaft in Heidelberg überhaupt öffentlich wurde. In der Regel dringt aus der abgeschotteten Welt der Studierendenverbindungen wenig nach draußen, Konflikte werden untereinander „geregelt”.

Hinweis: Dieser Text wurde aus Kapiteln des Buches „Gehorchen und herrschen – Ideologie und Praxis studentischer Verbindungen“ entnommen und für die bessere Lesbarkeit leicht verändert.

Bilder

Bild 1: Auf der Wartburg kam es 1817 zu einer Bücherverbrennung. Foto: Wikimedia

Bild 2: Mitglieder des Vereins Deutscher Studenten beim Volkstrauertag in München. Foto: Lina Dahm

Quellen

Hinweis: Die genauen Quellenangaben finden Sie im Verzeichnis des Buches „Gehorchen und herrschen“. 

Gottschalk, Christian: Haftstrafen für Burschenschafter nach wilder Partynacht, in: Stuttgarter Zeitung, 8.12.2022, www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.heidelberg-haftstrafe-fuer-burschenschaftler.56422666-5f22-446a-a082-f26d995d48da.html (zuletzt abgerufen: 9.12.2022 um 12:52 Uhr)

SWR-Redaktion: Bewährung und Freispruch für Burschenschaftler in Heidelberg, in: SWR Aktuell, 8.12.2022, www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/urteil-im-heidelberger-normannia-prozess-erwartet-100.html (zuletzt abgerufen: 23.11.2023 um 10:01 Uhr)

Schiedl, Heribert: Korporierte Legenden, in: HochschülerInnenschaft an der Universität Wien (Hg.): Völkische Verbindungen. Beiträge zum deutschnationalen Korporationsunwesen in Österreich, 2. Auflage, Wien 2014, S. 20–31, oeh.univie.ac.at/fileadmin/uv/dokumente/voelk_verbindungen.pdf (zuletzt abgerufen: 15.10.2023 um 16.30 Uhr)

Kurth, Alexandra: Männer – Bünde – Rituale. Studentenverbindungen seit 1800, Frankfurt a.M./New York 2004

Jacobs, Heiko: Antisemitismus in der Studentenschaft im 19. und 20. Jahrhundert, in: cousin.de, Februar 1994, www.cousin.de/cousin/allgemein/geschichte/anti.html (zuletzt abgerufen: 18.7.2023 um 14:33 Uhr)

Dowe, Christopher/Fuchs, Stephan: Katholische Studenten und Antisemitismus im Wilhelminischen Deutschland, in: Geschichte und Gesellschaft 4/2004, Politik im Katholizismus, S. 517–593

www.kartellverband.de/aktuelles/highlights/am133-04/eine-untergegangene-akademische-welt.html (zuletzt abgerufen: 18.7.2023 um 14:36 Uhr)

www.kartellverband.de/aktuelles/highlights/am133-07/die-last-unserer-geschichte-tragen.html (zuletzt abgerufen: 18.7.2023 um 14:45 Uhr)

Academic: de-academic.com/dic.nsf/dewiki/238874 (zuletzt abgerufen: 18.7.2023 um 14:39 Uhr)