Brauchtumspflege bei akademischen Studierendenverbindungen

Artikel von firm (2024)

„Wir leben in unseren Traditionen und pflegen unsere Mundart. Gerade in einer immer globaleren Welt können wir froh und stolz auf unser Heimatland blicken.“

Die Aussage der Katholisch Bayerischen Studentenverbindung Rhaetia auf ihrer Webseite zeigt exemplarisch, dass Korporationen die Brauchtumspflege zu einer ihrer Kernaufgaben zählen. Neben unproblematischen Ritualen und feucht-fröhlichen Semesterpartys finden sich bei einigen Studierendenverbindungen immer wieder auch positive Bezüge zum Brauchtum oder zu Personen mit Verbindungen zum Nationalsozialismus oder Kolonialismus sowie zu anderen historischen Ereignissen in der deutschen Geschichte, die ihre reaktionäre Haltung zeigen. Im Folgenden werden einige dieser Bräuche und Rituale von Studierendenverbindungen vorgestellt.

Reichsgründungstag: 18. Januar

Jedes Jahr am sogenannten Reichsgründungstag erinnern Rechte und auch einige Studierendenverbindungen an die Proklamation von König Wilhelm von Preußen zum Kaiser im Schloss Versailles im Januar 1871. In ihren Beiträgen in sozialen Netzwerken oder bei sogenannten Reichsgründungskneipen feiern Korporierte dann die Blütezeit der Studierendenverbindungen, denn viele der heute noch existierenden Korporationen gründeten sich zwischen 1871 und 1918. Bei den romantisierten Rückblicken werden Imperialismus und Kolonialismus, Militarismus, Autoritarismus oder fehlende Rechte für Frauen ausgeblendet, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Kaiserreich findet nicht statt.

Bismarcks Geburtstag: 1. April

Otto von Bismarck war von 1871 bis 1890 Reichskanzler des Deutschen Kaiserreichs und ist in der rechten und korporierten Szene zum Symbol für eine idealisierte, vermeintlich bessere Vergangenheit geworden. Wenn am 1. April in Social-Media-Posts in diesen Kreisen an seinen Geburtstag erinnert wird, wird bewusst oder unbewusst ausgeblendet, dass unter ihm das deutsche Kolonialreich entstand, in dessen Folge hunderttausende Menschen unterdrückt und ermordet wurden. Es fehlt auch hier wie übrigens in großen Teilen der deutschen Gesellschaft die Bereitschaft, sich mit diesem Aspekt des historischen Erbes Deutschlands zu beschäftigen und hierfür entsprechend Verantwortung zu übernehmen.

Tag der Deutschen Einheit: 3. Oktober

Für viele Studierendenverbindungen ist das Streben nach der nationalen Einheit aller Deutschen konstitutiv, wobei es bis heute Unterschiede gibt, wer als deutsch definiert und wer nicht. Bereits 1815, als in Jena die Urburschenschaft mit dem Ziel gegründet wurde, die Kleinstaaterei zu beenden und Deutschland zu vereinen, legten Burschenschafter den Grundstein für den bis heute dem ihren Organisationen inhärenten Nationalismus. Dieser zeigt sich in ihren sogenannten Wahlsprüchen wie „Ehre – Freundschaft – Vaterland“ (Landsmannschaft Hansea auf dem Wels) oder „Deutsche Treue allerwegen“ (Katholische Deutsche Studentenverbindung Vandalia).

Den 3. Oktober begehen insbesondere Burschenschaften, um an diesem Tag an ihre ureigene Forderung nach einem geeinten Deutschland zu gedenken und sich in nationalistischem Pathos zu üben. So schrieb der größte deutsche Dachverband Deutsche Burschenschaft (Wahlspruch: „Ehre, Freiheit, Vaterland“) am 3. Oktober 2022 auf seinem Instagram-Kanal, dass „in Mitteldeutschland das deutsche Volk 1989 auf die Straßen [ging], um unter friedlichem Pro-test [sic!] laut auszurufen, was wahr ist: „Wir sind das Volk“ und einen Moment später: ,Wir sind ein Volk!’.“ An anderer Stelle wird die DDR bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Die Verwendung des Begriffs „Mitteldeutschland“ ist hier sicherlich auch kein Zufall. Viele völkisch-nationalistische Burschenschaften wünschen sich bis heute ein Deutschland in den Grenzen von 1937, also mit Ostpreußen, Schlesien und Pommern.

Ehemaliger Nationalfeiertag: 17. Juni

Am 17. Juni 1953 kam es in der DDR zum sogenannten Volks- oder Arbeiteraufstand, bei dem politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Forderungen gestellt wurden. Die Proteste wurden von der Volkspolizei und sowjetischen Besatzungsmacht gewaltsam niedergeschlagen. Mindestens 55 Menschen starben oder wurden hingerichtet, viele verletzt und Tausende inhaftiert. Bis zum Einigungsvertrag 1990 war der 17. Juni in der Bundesrepublik ein Nationalfeiertag, er wurde danach durch den 3. Oktober ersetzt.

Einige Studierendenverbindungen messen anknüpfend an die Idee eines vereinten Deutschlands (siehe 3. Oktober) darüber hinaus dem 17. Juni eine größere Bedeutung zu. Er dient ihnen dazu, nicht nur ihrem Nationalismus, sondern auch ihrem expliziten Antikommunismus Ausdruck zu verleihen.

Feuerzangenbowle, Maibowle und Krambambuli

Grundsätzlich nutzen viele Korporierte jede Gelegenheit, um Alkohol zu trinken. Das unterscheidet sie zunächst nicht von vielen nichtkorporierten Student*innen. Der Unterschied liegt darin, dass ritualisiert getrunken wird oder bei Themenkneipen auf „die guten alten Zeiten” rekurriert wird. Das ist sowohl bei den Krambambuli- als auch bei den Feuerzangenbowle-Kneipen der Fall, wobei bei der zuletzt genannten Veranstaltung nicht nur dieses hochprozentige Heißgetränk genossen, sondern auch der Film „Feuerzangenbowle“ aus dem Jahr 1944 mit Heinz Rühmann geschaut wird. Dieser, so urteilt der Film- und Kulturkritiker Georg Seeßlen, „gehört zu jenen schizophrenen Filmen aus der Spätzeit des Nationalsozialismus, die zugleich dem Regime dienen und über sein Ende hinausblicken wollen, die voller offener oder unterschwelliger Nazi-Ideologeme sind, und zugleich von einer Sehnsucht nach Frieden und Versöhnung zeugen, die sozusagen schon mit der Verdrängung der Schuld beginnt, während sie noch geschieht“.

Volkstrauertag und Heldengedenken

Am zweiten Sonntag im November wird in Deutschland vielerorts der Volkstrauertag begangen, um den in den beiden Weltkriegen Gefallenen, allgemein den Toten oder explizit den Opfern von Gewaltherrschaft zu gedenken. In München werden die offiziellen Feierlichkeiten vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge organisiert, die Kranzniederlegung findet am Grab des unbekannten Soldaten im Münchner Hofgarten statt. Unter den Teilnehmenden sind stets Vertreter*innen der Stadt und Sicherheitsbehörden sowie der bayerischen Staatsregierung und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Beteiligt sind neben Musikkorps der Bundeswehr oder der Polizei auch Vertreter verschiedener Studierendenverbindungen. Als sogenannte Chargen marschierten neben Mitgliedern von Corps oder konfessionellen Verbindungen in den letzten Jahren auch Mitglieder der Alemannia, Cimbria und der Stauffia in Fantasieuniformen durch den Hofgarten. Somit sind stets Vertreter der völkisch-nationalistischen Deutschen Burschenschaft an den offiziellen Feierlichkeiten beteiligt. Von der militärisch geprägten Zeremonie angezogen, versammeln sich im Publikum zudem regelmäßig Angehörige neofaschistischer und extrem rechter Gruppen wie Danubia, Identitäre Bewegung oder Junge Alternative.

Stiftungsfeste

Zu den Pflichtveranstaltungen eines Korporierten zählen die jährlichen Stiftungs- oder Gründungsfeste. Gefeiert wird, wie die Bezeichnung schon sagt, die Gründung der Verbindung. Zu ihren Stiftungsfesten laden die Korporationen oft sogenannte Chargen anderer Verbindungen ein, die ihre Bünde bei den Festlichkeiten vertreten. Gibt es einen „Festkommers“, sprechen dort mehr oder weniger bekannte Festredner*innen.

Hissen der Fahne zu Semesterbeginn und -ende 

Die meisten Studierendenverbindungen haben eine eigene Fahne, die in den Farben der Verbindung gehalten ist. Momente, bei denen insbesondere Füchse und Aktive einer Verbindung zusammenkommen, sind das Hissen zu Beginn und das Einholen der Fahne am Ende eines Semesters.

Mensurtage

Bei pflichtschlagenden Verbindungen stehen teilweise mehrmals im Jahr Mensurtage im Kalender. Öffentlich kommuniziert werden ausschließlich die sogenannten Bestimmungsmensuren, illegale Fechtduelle (Pro-Patria-Suiten) werden aktuell nur intern beworben. Die Mensurtage sind Spektakel und immer auch Anlass für Korporierte und Freunde der beteiligten Verbindungen, um zusammenzukommen. Zugelassen sind ausschließlich Männer.

Thomasbummel

Der Thomasbummel ist eine Veranstaltung im Rahmen der sogenannten Thomasfeiern, die Couleurstudenten kurz vor Weihnachten in Nürnberg abhalten. Dabei ziehen Student*innen und Alte Herren bzw. Hohe Damen mehrmals in Couleur und Kostümen durch die Fußgängerzone.

In der Vergangenheit besorgten Studenten vor der Heimreise ins Elternhaus Geschenke in der Stadt und zogen vor dem Abschiednehmen von Gasthaus zu Gasthaus. Aus diesem Brauch entwickelte sich die heutige Veranstaltung, zu der mittlerweile auch Student*innen aus dem gesamten süddeutschen Raum anreisen. Der Couleurbummel am Sonntag ist eingebettet in Kommerse, Festkneipen, Convente und Gottesdienste. Zu Hochzeiten kamen in der Vergangenheit mehrere Tausend Korporierte nach Nürnberg, die Zahl nahm in den letzten Jahren aber stetig.

Burschentage der Deutschen Burschenschaft

An jenem Ort, an dem im Oktober 1871 das erste Wartburgfest der Burschenschaften stattfand, kommen bis heute einmal jährlich die Mitgliedsbünde der Deutschen Burschenschaft zusammen. Über mehrere Tage finden in Seebach und Eisenach verschiedene Sitzungen und Treffen statt, in denen Bericht erstattet und Beschlüsse gefasst werden. Auf einem zentralen in Seebach stattfindenden Festkommers haben die Burschen zudem die Gelegenheit, Festrednern wie Matthias Helferich von der AfD, der sich selbst als das „freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet, oder dem Publizisten Thor von Waldstein, der sich gegen den „liberalistischen Virus“ wendet, zuzuhören. Am Burschenschaftsdenkmal und im anliegenden Berghotel, beide im Besitz der Deutschen Burschenschaft, finden zudem verschiedene Gedenkveranstaltungen, inklusive Fackelmarsch und „Heldengedenken“, statt.

Sommer- und Wintersonnenwende: 21. Juni und 21. bzw. 22. Dezember

Am längsten bzw. kürzesten Tag des Jahres begehen zahlreiche Studierendenverbindungen die Sommer- und Wintersonnenwende. Dabei handelt es sich ursprünglich um einen alten Brauch der Slawen, Kelten und Germanen, die Feuer entzündeten, um u.a. böse Geister zu vertreiben. Zwischenzeitlich als heidnisch verurteilt ließ „der wachsende Nationalismus im Europa des 19. Jahrhunderts […] die vorchristlichen Bezugspunkte wieder erstarken“. Da im Nationalsozialismus zwischen 1933 und 1945 u.a. die SS anlässlich der Sommersonnwende aufmarschierte und sich inszenierte, steht der Germanenkult heute als extrem rechte Tradition in der Kritik.

Dieser Überblick zu wichtigen Ritualen und historischen Gedenktagen der Kooperierten zeigt, wie skeptisch eine Mehrzahl der Studierendenverbindungen der Moderne und gesellschaftlichem Fortschritt gegenübersteht, sie zum Teil kategorisch ablehnt. Einige gehen so weit, dass sie eine „linksgrüne Hegemonie“ herbeireden, die mithilfe von Multikulturalismus, Feminismus, Globalisierung oder Individualisierung die „gute alte Zeit“ und „das deutsche/bayerische“ verdränge.

Hinweis: Dieser Text wurde aus Kapiteln des Buches „Gehorchen und herrschen – Ideologie und Praxis studentischer Verbindungen“ entnommen und für die bessere Lesbarkeit leicht verändert.

Bilder

Bild 1: Beim Volkstrauertag im Münchner Hofgarten „chargieren“ immer auch Korporierte in Uniformen. Foto: Lina Dahm

Bild 2: Im Dezember findet in Nürnberg der sogenannte Thomasbummel statt. Foto: firm

Bild 3: Teil der sogenannten Burschentage in Eisenach ist traditionell ein Fackelmarsch mit anschließendem Totengedenken. Foto: Lina Dahm

Quellen

Hinweis: Die genauen Quellenangaben finden Sie im Verzeichnis des Buches „Gehorchen und herrschen“.

Seeßlen, Georg: Die Feuerzangenbowle, in: Getidan, 1994, www.getidan.de/kritik/film/georg_seesslen/976/die-feuerzangenbowle (zuletzt abgerufen: 18.7.2023 um 14:45 Uhr)

Pfaller, Marius: Der Thomastag in Nürnberg, in: Stadtarchive in der Metropolregion Nürnberg, 19.12.2015, stadtarchive-metropolregion-nuernberg.de/der-thomastag-in-nuernberg/ (zuletzt abgerufen: 20.12.2022 um 12:43 Uhr)

Gebhardt, Richard: Hauptfeind Liberalismus, in: Der Rechte Rand, Juli/August 2018, https://www.der-rechte-rand.de/archive/3461/thor-von-waldstein-liberalismus/ (zuletzt abgerufen: 17.6.23 um 10:00 Uhr)

Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung: Sommersonnenwende, Juni 2015, https://www.politische-bildung-brandenburg.de/lexikon/sommersonnenwende (zuletzt abgerufen: 22.6.2023 um 7:48 Uhr)