Der Anteil von weiblichen Studierenden an deutschen Hochschulen ist so hoch wie noch nie. So studieren laut Angaben des Statistischen Bundesamts im Wintersemester 2019/20 beinahe genauso viele Frauen wie Männer an deutschen Universitäten und Fachhochschulen.
Männer unter sich
Davon völlig unbeeindruckt bestehen die meisten Studierendenverbindungen weiterhin auf dem Männerbundprinzip und lassen Frauen nur zu bestimmten Anlässen in ihre Häuser. Der BDIC – Korporationsverband an deutschen Hochschulen, in dem die Münchner Burschenschaft Technischer Club – Minerva organisiert ist, schrieb dazu auf seiner alten Webseite unter „Standpunkte“:
„Das Freundschaftsprinzip bedingt eine vollständige und harmonische Gleichstellung aller Mitglieder. Die Aufnahme von Studentinnen könnte in der einzelnen Verbindung zu Spannungen und Spaltungen führen. Frauen sind ein wichtiger Bestandteil vieler Verbindungsveranstaltungen, können aber aufgrund des Männerbundprinzips nicht Mitglied einer BDIC-Korporation werden. Andererseits unterstützt der BDIC die Idee der Damenverbindung und ist bei Gründungen gerne behilflich.“
Aussagen wie diese, die den Ausschluss von Frauen begründen, finden sich häufig bei reinen Männerbünden. Diese Ausgrenzung dient der Schaffung sogenannter homosozialer Räume, denn im Korporationswesen spielt „die Erziehung [der] jungen Bundesbrüder zu aufrechten und streitbaren Männern“, wie es auf der Website der extrem rechten Burschenschaft Danubia München heißt, eine zentrale Rolle.
Autoritäre Erziehung
Dabei handelt es bei der Erziehung zum „richtigen“ oder „aufrechten“ Mann um ein autoritäres Konzept, das auf Unterordnung, Gehorsam und Bestrafung basiert. Im Comment sind strenge Regeln, starre Hierarchien zwischen Fuchs, Bursche und Alten Herren sowie Strafen für den Fall der Missachtung einer Regel festgehalten. „Das gemeinsame Schmettern deutschen Liedguts schweißt die Männerrunde eng zusammen: das Gemeinschaftsgefühl und das Gefühl, Teil von etwas Höherem zu sein, wird auch über emotionale Ergriffenheit hergestellt. Dazu trägt unter anderem das ritualisierte Besäufnis bei.“ Bei streng reglementierten Kneipen findet „in Trinkspielen und hierarchisierten Abläufen das absolute Aufgehen in der Männergemeinschaft statt. Schon die Existenz des Bierpapsts (des Kotzbeckens) deutet darauf hin, worum es hier geht: über die eigenen Grenzen hinauszugehen.“ Diese grenzüberschreitenden Besäufnisse gehen bisweilen schief. 2012 verstarb ein 22-Jähriger nach einer Feier beim Corps Suevia in München.
Bei schlagenden Verbindungen dient darüber hinaus das Fechten von Mensuren dazu, „Hingabe an die Gemeinschaft, also die Aufgabe der Individualität ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten, einzutrainieren. Die Bereitschaft, Schmerzen für das Ganze auf sich zu nehmen, entspricht der Bereitschaft, sich zu opfern. Nur wer Schmerzen und Härte aushält, also zu Selbstbeherrschung und Disziplin fähig ist, kann einen starken Charakter ausbilden. Nur wer charakterstark ist, kann Leistung erbringen. Nur wer dies kann, ist männerbundfähig.“ Die Einrichtung der Mensur gibt Verbindungen zudem die Möglichkeit, Mitläufer auszusieben, wie es die Burschenschaft Cimbria auf ihrer Webseite beschreibt.
Das Zeigen von (vermeintlicher) Schwäche, Angst und Verletzbarkeit wird im Sinne eines überkommenen Männlichkeitsideals abgewertet und auf das Weibliche projiziert. Die Anzahl von Pflichtmensuren variiert, beim Corps Makaria sind es beispielsweise ganze fünf Kämpfe, die absolviert werden müssen, um Mitglied werden zu können.
Mensuren
Mensuren sind Fechtkämpfe mit scharfen Waffen, die festen Regeln und Abläufen folgen. Es ist eine mittlerweile umstrittene Tradition, die von schlagenden Verbindungen aufrechterhalten wird. Obwohl es bei Mensuren immer wieder zu schwersten Verletzungen kommt, sind sie aktuell legal – vorausgesetzt, es handelt sich nicht um sogenannte Ehrenhändel bzw. Pro-Patria-Suiten.
Bei der Mensur gibt es keinen Gewinner, es kommt vielmehr darauf an, die Schläge technisch sauber auszuführen, sich nicht zu drücken und etwaige Verletzungen, inklusive der Behandlung, ohne örtliche Betäubung unbewegt hinzunehmen. Die vernarbten Wunden, auch „Schmisse“ genannt, werden von den Korporierten teils mit Stolz präsentiert, sind sie doch erkennbares Symbol für Härte und „Mannwerdung“.
Da Mensuren stets im internen Kreis stattfinden und Verletzte, wenn irgendwie möglich, von eigenen Ärzten versorgt werden, dringt über etwaige Körperverletzungen nicht viel an die Öffentlichkeit. Es ist also durchaus außergewöhnlich, dass ein mutmaßlich verbotenes Duell zwischen der Germania Erlangen im süddeutschen Kartell und der Turnerschaft Munichia Bayreuth im Coburger Convent im Februar 2023 bundesweit Schlagzeilen machte. Bei dem Fechtkampf wurden zwei Korporierte so schwer verletzt, dass beide ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten und die Polizei Ermittlungen einleitete.
Homosoziale Gemeinschaften
Während sich Geschlechterrollen und damit die Geschlechterordnung in den vergangenen 30 Jahren verändert haben, beharren viele Studierendenverbindungen auf dem Ausschluss von Frauen, um den Männerbund zu bewahren. Sie schaffen damit homosoziale Gemeinschaften, „in denen Männer Verunsicherungen, welche durch den Wandel der Geschlechterverhältnisse induziert werden, auffangen können und die ihnen habituelle Sicherheit vermitteln“. Männerbünde sind, so der Soziologe Michael Meuser, „ein kollektiver Akteur der Konstruktion der Geschlechterdifferenz und von hegemonialer Männlichkeit“
Hegemoniale Männlichkeit
Die australische Soziologin Raewyn Connell prägte das Konzept der hegemonialen Männlichkeit, das ermöglicht, zum einen von einer Binnenhierarchie zwischen Männlichkeiten (nicht Männern) zu sprechen und zum anderen eine abstrakte Analyse vorzunehmen. Connell analysiert, dass Männlichkeiten, in welcher Form auch immer, vom Patriarchat profitieren, und nennt das „patriarchale Dividende”. Das Problem mit Männlichkeit ist, dass sie, anders als oft suggeriert wird, nicht autonom hergestellt werden kann, sondern grundsätzlich nur in Abgrenzung. Einige Männlichkeiten, insbesondere die heterosexuelle, sind im Kern fragil und konflikthaft, weil sie die Abwehr von anderen Männlichkeiten und allen Weiblichkeiten sowie Nicht-Binaritäten brauchen. Diese Abhängigkeit bedeutet Scheitern und Verletzlichkeit, die sich in einer Ablehnung der Ursache äußern kann, also bspw. In Sexismus oder Homo- und Transfeindlichkeit, in manchen Fällen sogar in einem Vernichtungswillen gegenüber den als Ursache ausgemachten Gruppen, wie wir bei den rechten Terroranschlägen in Christchurch, Oslo/Utøya oder Halle gesehen haben. Wissenschaftler*innen weisen seit Jahren auf dieses in Männlichkeit angelegte Gewaltpotenzial hin. Mit dem Aufkommen der Ersten Frauenbewegung musste Männlichkeit mit Ausschlusskriterien versehen werden. Man musste sich doppelt abgrenzen: von Frauen und von „verweiblichten Männern“. Verschiedene Rituale und Bräuche wie insbesondere die Mensur der Männerbünde zielen bis heute darauf ab, Männlichkeit einzuüben und aufrechtzuerhalten.
Mit der Schaffung und Verteidigung dieser Räume sorgen männerbündische Studierendenverbindungen dafür, dass Männlichkeiten, die per se problematisch sind, in unserer Gesellschaft kontinuierlich reproduziert werden. Die drei Phänomene Antifeminismus, Misogynie und Sexismus sind also bereits in der Struktur der männerbündisch organisierten Verbindungen verankert.
Hinweis: Dieser Text wurde aus Kapiteln des Buches „Gehorchen und herrschen – Ideologie und Praxis studentischer Verbindungen“ entnommen und für die bessere Lesbarkeit leicht verändert.
Bilder
Bild 1: Die meisten Studierendenverbindungen bestehen auf dem Männerbundprinzip. Foto: Lina Dahm
Quellen:
Hinweis: Die genauen Quellenangaben finden Sie im Verzeichnis des Buches „Gehorchen und herrschen“.
BDIC – Korporationsverband an deutschen Hochschulen: web.archive.org/web/20210929022951/
bdic.de/texte.php (zuletzt abgerufen: 23.11.2023 um 8:41 Uhr)
Burschenschaft Danubia: danubia.de (zuletzt abgerufen: 3.8.2021 um 10:32 Uhr)
sub*way communistisches kollektiv Göttingen: Homophobie und Männerbünde: Männer eng verbunden? Burschis kuscheln nicht!, in: AStA Uni Frankfurt (Hg.): Autoritär. Elitär. Reaktionär. Reader zur Verbindungskritik, 2. Auflage, Frankfurt a.M. 2017, S. 62–67, asta-frankfurt.de/sites/default/files/2022-10/2017verbindungskritikweb.pdf (zuletzt abgerufen: 15.10.2023 um 16.30 Uhr)
Burschenschaft Cimbria: www.cimbria.de/ueber-uns/mensur/ (zuletzt abgerufen: 3.8.2021 um 10:45 Uhr)
Miller, Jonas/Graßer-Reitzner, Elke: Burschenschaften: Illegales Fecht-Duell endete blutig, in: Tagesschau, 3.3.2023, www.tagesschau.de/inland/regional/bayern/br-burschenschaften-illegales-fecht-duell-endete-blutig-102.html (zuletzt abgerufen: 17.6.2023 um 10:44 Uhr)
Meuser, Michael: Männerwelten. Zur kollektiven Konstruktion hegemonialer Männlichkeit, Schriften des Essener Kollegs für Geschlechterforschung 2/2001, www.uni-due.de/imperia/md/content/ekfg/michael_meuser_maennerwelten.pdf (zuletzt abgerufen: 14.10.2023 um 13:00 Uhr)
Prinzessin Lillifee/Montana, Hannah: „Wir wollten doch mal Männlichkeit abschaffen …”, in: Antifa Infoblatt 1/2023, antifainfoblatt.de/aib138/wir-wollten-doch-mal-maennlichkeit-abschaffen (zuletzt abgerufen: 15.10.2023 um 16.30 Uhr)
Goetz Judith: Burschenschaften: Ehrensache Antifeminismus. Der Kampf deutschnationaler Burschenschaften gegen geschlechterpolitischen Wandel, in: Der Standard, 25.1.2019, www.derstandard.de/story/2000096943730/burschenschaften-ehrensache-antifeminismus (zuletzt abgerufen: 17.6.2023 um 11:10 Uhr)